Roland Reuß: Die perfekte Lesemaschine. Zur Ergonomie des Buches
«Vollendete Zweckrationalität»
Es geht ums Detail. Um das typographische Handwerk. Jedenfalls geht es um mehr als nur um die Beherrschung der technischen Werkzeuge. Ob Winkelhaken oder Layoutprogramm – wer Bücher macht, sollte um die gestalterischen Möglichkeiten und ihre Auswirkungen wissen, dies umso besser, je anspruchsvoller die Aufgabe ist: «Für die zentrale Stellung des Buches beim Erwerb von Wissen ist die typographische Einrichtung in ihrer ganzen Differenziertheit der entscheidende Faktor.» (S. 6)
Diesen Tatbestand macht Roland Reuß im vorliegenden Buch auf vielfältige Weise bewusst. Ein (gut gemachtes) Buch ist eben mehr als nur eine irgendwie gedruckte Datei, und es ist keineswegs gleichgültig, ob man Texte in digitaler oder gedruckter Form liest, wie immer wieder zu hören ist. Für kurze Informationsschnipsel mag das zutreffen, nicht aber, wenn es gilt, schwierige Zusammenhänge zu verstehen.
Reuß knüpft an Paul Valérys Formulierung aus dem Jahr 1926 über das Buch als «perfekte Lese-Maschine» an («une parfaite machine é lire«). Gemeint war damit dies: «daß die präzise Reflexion all seiner typographischen Parameter, kurz seine vollendete Zweckrationalität, es dem Leser beträchtlich erleichtere, den gedruckten Gehalt zu erfassen. Lesemaschine, das hieß vor allem: Kraft- und Zeitersparnis beim Studieren, bei intensiver Lektüre.» (S. 5)
Apostroph, Bleibe, Blocksatz, Ethik – Gedankenstriche – Hand, Handarbeit, Ideologie – lesbar und leserlich, Weißraum, Yin-Yang: anhand von fünfzig handverlesenen Stichwörtern reflektiert der Heidelberger Literaturwissenschaftler über den tieferen Sinn typographischer Gestaltungsmittel. Dabei begreift er die Typographie in einem umfassenden Sinn, bezieht Buchkörper, Format, Papier und auch das Lektorat mit ein. Seine Gedanken über das dynamische Verhältnis schwarzer und weißer Flächen in der Schrift führen schließlich zu Yin-Yang: «Ein guter Typograph malt mit Licht, man sieht es nur nicht.» (S.83)
Das gedruckte Buch bleibt ein Ort (und Hort) für Versenkung und Vertiefung, für Konzentration und Erkenntnis, aber nur, wenn Gestalter und Verlage sich auch um die Details kümmern. Der schmale, aber so gehaltvolle Band von Roland Reuß, der dies so eindringlich postuliert, ist 2014 in Klaus Detjens Reihe zur Ästhetik des Buches bei Wallstein erschienen, einer außergewöhnlichen Sammlung von Essays, Porträts und Kommentaren zur Buchform und zum Buch als Form. Die Reihe umfasst inzwischen elf Bände (2019) und sie wächst weiter. Bei einheitlichem Format und als Klappenbroschur gebunden, ist die Typographie jedes Bandes individuell. Roland Reuß verwendet als Grundschrift die FF Nexus von Martin Majoor, die zurückhaltend-lesefreundliche Typographie bietet größtmöglichen Komfort für die Lektüre – nichts stört oder drängt sich zwischen Autor und Leserschaft. Lesegenuss pur – inhaltlich wie gestalterisch und haptisch. Die Setzkastensystematik auf dem Umschlag verweist aufs Handwerkliche, auf Normen und feste Maße; wie sinnvoll sie – besonders für den gekonnten Regelbruch – sind, zeigt dieses Buch. – Eine pointierte Reflexion über makro- und mikrotypografische Details und brilliant formuliertes Plädoyer für die Bedeutung des gedruckten Buches beim lernenden Lesen und für mehr Sorgfalt beim Büchermachen!!
(P.S. Sorgfältige Typographie tut auch Web-Inhalten gut…)
Silvia Werfel
Im Detail
Roland Reuß: Die perfekte Lesemaschine.
Zur Ergonomie des Buches
Göttingen: Wallstein 2014
(Ästhetik des Buches, hrsg. v. Klaus Detjen, Bd. 4)
88 S.; Englische Broschur, 13 x 20,5 cm. 14,90 €