Ein Bericht von Silvia Werfel und Sebastian Eichenberg
Erstmals in der Geschichte der Gesellschaft der Bibliophilen fand ein Jahrestreffen in Freiburg im Breisgau statt. Der Zuspruch war groß – erneut gab es einen Anstieg der Teilnehmerzahl zu verbuchen. Dr. Annette Ludwig hatte wieder ein rundum spannendes und umfangreiches Programm zusammengestellt.
Strahlender Sonnenschein begrüßte die Teilnehmer des 119. Jahrestreffens schon am Anreisetag. Beim gemeinsamen Abendessen gab es die ersten bibliophilen Gespräche und gleich eine Überraschung: Herr Tiande Yang, seit 2017 Mitglied (Kurzporträt siehe Personalia), überreichte den Teilnehmern einen mit Gesellschaft der Bibliophilen beschrifteten Anstecker, den sich alle sogleich ans Revers hefteten.
Spektakulär und hochmodern
Nur wenige Schritte waren es vom Tagungshotel zur Universitätsbibliothek – dem ersten Ziel am Freitagvormittag (1. Juni). Der spektakuläre Neubau wurde im Juli 2015 eröffnet. Susanne Röckel, als Dezernentin mit der kommissarischen Leitung des Dezernats Bibliothekssystem betraut, begrüßte im Foyer die Gruppe und führte sie zunächst in den Vortragssaal, wo es zur Einstimmung erst einmal einen Film zu sehen gab. «Das Alte stürzt, es ändert sich die Zeit. // Und neues Leben blüht aus den Ruinen.» Friedrich Schillers Worte kamen einem in den Sinn, angesichts des Films ZeitRäume, der im Zeitraffer den Abriss des alten Gebäudes aus den 1970er Jahren und den anschließenden Neuaufbau zeigte – sieben Jahre Bautätigkeit, eingedampft in fünfzehn bildgewaltige Minuten.
Außen polierter dunkler Edelstahl und Glas, innen 41 673 qm Gesamtfläche für einen Bestand von insgesamt rund 3,5 Millionen Medieneinheiten inklusive Freihandmagazin mit circa 700 000 Büchern, dazu 1700 Arbeitsplätze sowie ein Medienzentrum mit umfassender Technik für journalistische Arbeit (z.B. Video- und Radiostudio). Etwa 12 000 Nutzer pro Tag verzeichnet die Bibliothek, die für Universitätsangehörige rund um die Uhr geöffnet ist und für Externe von 8 bis 22 Uhr.
Nach dem Freiburger Münster ist die UB die zweitbegehrteste Sehenswürdigkeit – wer weiß, wie die Bürger entschieden hätten, hätte man sie damals (2006) befragt. «[…] genörgelt und gelobt wird gleichermaßen. Die einen halten das ambitionierte Gebäude für einen überdimensionierten Dampfer, der einfach in die Stadtlandschaft hineingeworfen wurde; die anderen sehen Freiburg bereits als ein Mekka für Design und Fassadengestaltung», so hieß es in einem FAZ-Artikel vom 20. Oktober 2015 dazu. Entmaterialisierung ist das Stichwort. Der Bau soll mit seiner Umgebung gleichsam verschmelzen. Eigentlicher Grund für die Erneuerung war die starke Schadstoffbelastung und die viel zu hohen Stromkosten. Nun läuft alles energetisch effizient: Die Sonnenschutzverglasung der kompakten Außenhülle ist dreifach isoliert, die Innentemperatur wird mittels Brunnenwasser und Wärmerückgewinnung konstant gehalten. Das bedeutet bis zu 65 Prozent weniger Energieverbrauch als vorher. Strom liefert zudem die mit 2000 Quadratmetern größte innerstädtische Photovoltaik-Anlage auf dem Dach.
In zwei Gruppen aufgeteilt, geführt von Susanne Röckel und Simon Gander, konnten sich die Bibliophilen nach dem Film ein eigenes Bild machen. Unter anderem beeindruckten im Untergeschoss im Freihandmagazin die «schlauen Tische» und Zeutschel-Buchscanner, während die Wandbilder-Serie von Peter Dreher von 1978 die Betrachter zum Schmunzeln brachte.
Traditionsreich – und nun auch virtuell
Nach der Mittagspause traf man sich erneut im Vortragssaal der Universitätsbibliothek, wo Dr. Matthias Reifegerste die Gäste erwartete. Er skizzierte die Geschichte der 1457 gegründeten Albert-Ludwigs-Universität und ihrer 1470 erstmals bekundeten Bibliothek; zudem zeigte er in seiner Präsentation ausgewählte Handschriften und Drucke. Vieles kann online durchgeblättert werden, denn die UB Freiburg gehört zusammen mit den Universitätsbibliotheken Heidelberg und Tübingen, der Badischen Landesbibliothek in Karlsruhe und der Württembergischen Landesbibliothek in Stuttgart zu einem Verbund, in dem seit 2011 wertvolle historische Bestände digital gesichert und auf den jeweiligen Websites zur Ansicht und Forschung bereit gestellt sind. Im Freiburger Angebot finden sich beispielsweise die Themen Humanismus und Reformationszeit, Humanismus und Geographie am Oberrhein, Klosterkultur am Oberrhein, Jacobi und sein oberrheinischer Dichterkreis sowie die Virtuelle Bibliothek St. Peter.
Zum (vorsichtigen) Blättern lagen ebenfalls einige Bände aus, was naturgemäß noch schöner ist, als am Bildschirm Digitalisate zu betrachten. So konnte man sich, weiß behandschuht, selbst davon überzeugen, dass in dem Graduale Hs. 1141 (zweite Hälfte 15. Jahrhundert) die wunderschönen großen Initialen-Miniaturen herausgeschnitten worden waren, indessen wieder gefunden und neu eingeklebt wurden. In der Mappa geographica ad Historiam Nigrae Silvae von Bonifacius Grüninger, Martin Gerbert und Johann Baptist (1788) konnte man mit dem Finger von „Freyburg“ nach St. Peter reisen und in Sebastian Münsters Cosmographei (Basel 1550) die Doppelseiten mit den Stadtansichten nicht nur von Freiburg, sondern etwa auch von Genf, Paris, Florenz, Trier oder Cöln studieren. Ebenfalls ausgelegt: Gregor Reischs Margarita philosophica, eine enzyklopädische Sammlung, die den Stand des Wissens um 1500 enthält und die erste Darstellung der Stadt Freiburg (Basel 1517); sie gehörte übrigens zum Bestand von St. Peter, einem der Ziele der Bibliophilen am Samstag. Das heute in St. Peter befindliche Exemplar stammt hingegen aus dem Freiburger Capuzinerkloster.
Auch aktuelle Bücher lagen bereit, etwa The Voynich Manuscript, herausgegeben von Raymond Clemens (Yale University Press 2016), worin das Geheimnis um die so berühmte wie rätselhafte Handschrift gelüftet wird, und – ganz anders – der lesenswerte Band Lieber barfuss als ohne Buch. Almanach der Bibliomanie (Salis 2012), den womöglich auch einige Bibliophile schon ihr Eigen nennen. Matthias Reifegerste zeigte auch, wie Miniaturbücher in Freiburg aufbewahrt werden: in einem normalformatigen Spezialschuber – so findet man sie besser …
Uniseum und Gerichtslaube
Im Anschluss an die Präsentation und angeregt geführte Gespräche ging es zum Empfang in die Gerichtslaube, in das älteste Rathaus Freiburgs, wo einst der Reichstag von 1498 stattgefunden hat. Auf dem Weg dorthin machten die Teilnehmer auf Anregung von Matthias Reifegerste noch eine Stippvisite im Uniseum (Bertoldstraße 17), das nicht nur die Geschichte der Albert-Ludwigs-Universität erzählt, sondern vor allem als Veranstaltungsforum genutzt wird. In seinem Archiv befindet sich unter anderem das Statutenbuch des Collegium Sapientiae von 1497; im Bursenkeller ist nach diesem Statutenbuch des Johannes Kerer eine Vorlesungsszene inszeniert.
In der Gerichtslaube begrüßte Stadträtin Dr. Brigitte Pia von Savigny die Bibliophilen aufs Herzlichste – und mit erfrischenden Getränken. Als Kunsthistorikerin mit einem Faible für Einbandkunst zeichnet sie für den nun einmal jährlich erscheinenden Rundbrief der Meister der Einbandkunst (MDE) verantwortlich und war als Gast auch bei der abendlichen Präsentation des MDE mit dabei.
MDE – zeitgenössische Einbandkunst
Wegen der großen Teilnehmerzahl fand die Präsentation nicht im Restaurant Rappen, sondern im Tagungshotel statt. Dr. Onno Feenders zitierte in seiner Einführung Christian Heinrich Kleukens: «Es ist ein offenes Geheimnis, daß fast alle bibliophilen Vereinigungen im tiefsten bibliophilen Mittelalter leben. Wahrhaft produktive Tat kann Buchgestaltung nur sein, wenn sie dem Buch ihrer Zeit gemäßen Ausdruck verleiht.» So gesprochen in der Vorstandssitzung der GdB 1929, nimmt Onno Feenders den Zitierten schon seit vielen Jahren beim Wort und beauftragt immer wieder einzelne Meister der Einbandkunst, ältere Bücherschätze neu mit auserlesenen Einbänden zu versehen.
Ulrich Widmann und Susanne Natterer, die beiden Freiburger Vertreter des Vereins, gaben einen Einblick in das eigene wie das Schaffen ihrer Meister-Kollegen. Im Mittelpunkt: die natürliche Schönheit des Materials. Und die künstlerisch-kreative Erweiterung traditioneller wie neuerer Handwerkstechniken. Es gab auch einiges zu berichten, denn im April 2018 hatten dreizehn Meisterinnen und Meister in der Librairie Auguste Blaizot in Paris, einem wahren Mekka der bibliophilen Einbandkunst, ausgestellt – eine Ehre und zugleich Herausforderung, der sich die Teilnehmer gewachsen zeigten. Jeder hatte zwei Bücher zu binden, davon mindestens ein französischsprachiges.
Einige der in Paris gezeigten Bände konnten in Freiburg begutachtet werden, darunter der malerische Einband von Theresa Wedemeyer zu Alphonse Daudet Lettres de mon Moulin, ein Bradelband mit Kleisterpapier, mehrfarbiger Folienprägung und Lederkapital, Astrid Zachs Ganzpergamentband zu Doctor Georges Pialloux Ciré Corsaire mit Pergamentintarsien und die beiden Ganzlederbände von Andreas Bormann zu Ovid Les Métarmorphoses, unter anderem mit Kopfgoldschnitt und umgelegten Kantenklammern – um nur drei zu nennen. Ulrich Widmann offenbarte, dass er gern die Grenzen des Handwerklichen auslotet und das Leder manchmal geradezu «massakriere». Susanne Natterer arbeitet filigran und oft klebstofffrei nur mit Nadel und Faden.
Die Auswahl (in Paris wie in Freiburg) bot «einen repräsentativen Überblick über die Schaffensvielfalt der zeitgenössischen deutschen Einbandkunst», so fasst es die MDE-Vorsitzende Ireen Kranz im Ausstellungskatalog zusammen. Der zweisprachige Katalog sei ausdrücklich empfohlen (als Broschur 35 €, als Festeinband 80 €, zu beziehen über den MDE). Mechthild Lobisch skizziert darin im einleitenden Vorwort nicht nur, wie sich die Einbandkunst in Deutschland seit dem 19. Jahrhundert entwickelte und wie französische Vorbilder sie mit prägten; sie merkt auch kritisch an, «dass es nicht nur für die Künste des Bucheinbands in Deutschland keine angemessene Ausbildung mehr gibt, die Kunst und Handwerk als Einheit versteht». Ohnehin seien Wertschätzung und Förderung der Handwerkskünste in Frankreich deutlich höher als hierzulande.
Klosterbibliotheken – mit Bildern Politik machen …
Der Samstag (2. Juni) begann mit der Mitgliederversammlung. Zu ihrem Schluss- und Höhepunkt überreichte Frau Dr. Ludwig Herrn Prof. Wittmann die Urkunde zur 2017 verliehenen Ehrenmitgliedschaft, deren Herstellung sie im Druckladen des Gutenberg-Museums veranlasst und begleitet hat. Die weiteren Ehrenmitglieder – Peter Neumann, Dr. Alice-Gertrud und Dr. Hans Rudolf Bosch-Gwalter – sollen noch in diesem Jahr ebenfalls eine im Handsatz und Buchdruck hergestellte Urkunde erhalten.
Aufgeteilt in zwei Gruppen erkundeten die Bibliophilen anschließend beim fachkundig begleiteten, fast zweistündigen Rundgang die von den Zähringer-Herzögen gegründete Stadt (Stadtrecht 1120). Im Freiburger Münster mit seinem 116 Meter hohen Turm und dem Hochaltar von Hans Baldung Grien begeisterten unter anderem auch die Glasfenster; die meisten wurden von Handwerkszünften gestiftet, was Symbole wie Brezel, Stiefel und Fass verdeutlichen. Vor dem Münster herrschte lebhaftes Markttreiben, nicht nur Touristen waren unterwegs, sondern auch die Freiburger.
Nachmittags brachte der Bus die Teilnehmer zunächst nach St. Peter, wo sie von Hans-Otto Mühleisen in Empfang genommen wurden. Der 2007 emeritierte Professor für Politikwissenschaft (unter anderem mit dem Schwerpunkt Politik und Kunst) hat viel zur ehemaligen Benediktinerabtei St. Peter publiziert (besonders empfohlen sei der mit Arno Zahlauer herausgegebene Band Kloster, Priesterseminar, Geistliches Zentrum. Kunstverlag Josef Fink 2016). Er führte die Gruppe pointiert und humorvoll. Als Zähringer Hauskloster und Grablege 1093 von Berthold II. gegründet, stammt die zu besichtigende Anlage aus dem 18. Jahrhundert. Der von Abt Ulrich Bürki 1727 initiierte und 1737 begonnene Bibliotheksbau ruhte unter dem Nachfolger Abt Benedikt Wülberz zehn Jahre lang und verdankt seine Fertigstellung 1752 Abt Philipp Jakob Steyrer, einem Mann des Geistes und der Wissenschaft. Baumeister war Peter Thumb, die Deckengemälde stammen von Benedikt Gambs.
Diese Bibliothek ist ein Statement! Bis ins kleinste Detail ist alles geistvoll, ja raffiniert geplant, alles mit allem verwoben. In der Zeit der Aufklärung, als das Klosterleben auf den Prüfstand kam, zeigte Abt Steyrer die Bibliothek nicht nur als Raum der Weisheit Gottes, er zeigte auch, dass die Abtei St. Peter modernen Ideen gegenüber offen und vor allem, dass sie «nützlich» sei. In zwei Bildpaaren sehen wir zum Beispiel Gegenüberstellungen von Engel-inspirierter und selbst denkend erworbener Erkenntnis; den Selbstdenkern sind die Attribute Globus und Uhr beigegeben. Mit Bildern wird Politik gemacht! So auch in den acht Grisaillen, in denen der Mond für die Fülle und Ausstrahlung der Bibliothek steht, der Bienenkorb für Wissensdurst und der frei zugängliche Brunnen für die Offenheit. Was man nirgends findet: Motive mit im Fegefeuer schmorenden Ketzern und anderen Feinden. Es geht um Toleranz. Über alledem könnte man fast die Bücher vergessen …
Wie nahezu alle Klöster wurde auch St. Peter ein Opfer des Reichsdeputationshauptschlusses von 1803. Die meisten der 20 000 Bände in der Bibliothek gingen ans Haus Baden und nach Freiburg, wenngleich der letzte Abt Ignaz Speckle, dessen Tagebuch eine der wichtigsten Quellen zur Säkularisierung ist, möglichst viel zu retten versuchte; er verfügte, die Klosterbrüder dürften (sollten) Bücher mit in ihre Zellen nehmen, die requirierenden Beamten hatten hier keinen Zutritt. Ein paar spannende Buchgeschichten resultieren daraus. Zu den Entdeckungen gehört die schon erwähnte Margarita Philosophica von Gregor Reisch. Noch spektakulärer und eine bibliothekarische Sternstunde – unter einem wurmzerfressenen Einband fanden sich gleich zwei Texte: die erste lateinische Übersetzung von Plutarchs Schrift über die Schmeichelei sowie Thomas Morus’ Utopia mit Holzschnitten von Hans Holbein d. J. und seinem Bruder Ambrosius; es handelt sich dabei um die von Erasmus von Rotterdam edierte Basler Ausgabe (Froben 1518). Arno Zahlauer, Direktor des Geistlichen Zentrums St. Peter, war 2008 der Entdecker. Nicht zuletzt war es wohl sein Fund, der eine Reihe von Maßnahmen zur Bestandssicherung in Gang setzte, unter anderem auch die Entstehung der Virtuellen Bibliothek St. Peter.
Geschichte einer Rückkehr: Nach 200 Jahren gelangte Pedro de Ribadeneiras Flos sanctorum zurück nach St. Peter. Das 1700 in Köln gedruckte Buch kaufte 1712 der Prior P. Romanus Imfeldt für etwas mehr als zwölf Reichstaler, wie die handschriftliche Notiz auf der Umschlagrückseite zeigt. Es wurde für Tischlesungen benutzt. Über P. Basilius Meggle, einen der berühmtesten Mönche in St. Peter, der es wahrscheinlich in den 1820er Jahren in die Abtei Rheinau mitgenommen hatte, gelangte es auf Umwegen nach Meersburg und schließlich in die Hände eines evangelischen Pastorationsgeistlichen, über dessen Enkel es dann als Schenkung zurück nach St. Peter kam. Für Rilkes Marien-Gedichte war der Blütenkranz der Heiligen eine der wichtigsten Inspirationen.
Geistige Nahrung in der Speisekammer versteckt
Auf St. Peter folgte der Besuch des Klosters Oberried. Seine Geschichte ist eng verknüpft mit den Wilhelmiten, einem auf den Eremiten Wilhelm von Malavalle (gest. 1157) zurückgehenden Mönchsorden. Wilhelmiten wirkten in Oberried 1252 bis 1507 und wieder ab 1682. 1725 wurden sie, nachdem das Kloster St. Blasien sie übernommen hatte und als Priorat weiterführte, zu Benediktinern. Ohnehin hatte die Gemeinschaft von Anfang an nach der Benediktinerregel gelebt. 1806 folgten Säkularisierung und Auflösung.
Jürgen W. Müller, Vorsitzender der Freunde der Klosterbibliothek e.V., und Annette Vetter geleiteten die Bibliophilen zunächst in die 1699 geweihte Klosterkirche. Hier zog das große Wallfahrtskreuz aus dem 15. Jahrhundert die Blicke auf sich, denn es zeigt einen Jesus mit echtem Haar. Im Refektorium traf man sich dann zu einer kleinen Bücherschau. Hier gab Jürgen W. Müller einen Überblick zur Büchersammlung, einem Schatz, der für nahezu 200 Jahre verborgen blieb. In den Zeiten der Säkularisierung wurden die Bücher in der Speisekammer versteckt, wo sie lange Zeit niemand entdeckte. Hier lagern sie heute noch, allerdings unter günstigeren Umständen.
Zu den ältesten Drucken gehören fünf Inkunabeln, darunter eine von Anton Koberger gedruckte Bibelausgabe (Nürnberg 1482) und eine weitere vom Freiburger Erstdrucker Kilian Fischer gedruckte Inkunabel (Offenburg 1496). Die meisten Werke stammen aus dem 17. und 18. Jahrhundert. Die Bibliothek umfasst heute rund 2500 Bücher. Darunter befinden sich die 50 Bände umfassende Sammlung des Schweizer Theologen Johann Caspar Lavater, die Sammlung des Konstanzer Generalvikars Ignaz von Wessenberg mit rund 40 Titeln und die Sammlung des Musikhistorikers und Fürstabts Martin Gerbert von St. Blasien. In dem kleinen Speisekammer-Schaudepot findet sich neben einigen Buchschätzen auch ein um 1733 von Johann Christian Wentzinger geschaffener Engelskopf vom Oberrieder Hochaltar.
Doppelter Festabend
Abends traf man sich zum traditionellen Festabend im ersten Stock des Tagungshotels wieder. Zwischen Vor- und Hauptspeise gab es gleich die erste Überraschung: Unser Mitglied Axel Fürst überreichte jedem der Anwesenden eine Kopie des 1911 in der Caritas-Buchhandlung Freiburg erschienenen Titels 111 Jahre akademischer Holzschnitzkunst oder Freiburger Carcer- und Bankpoesie, ein anekdotenreiches Best-of bekritzelter Sitz- und Hörsaalbänke der alten Universität Freiburg, in dem Sammler von Studentica, Philologen und Germanisten gleichermaßen auf ihre Kosten kommen.
Nach der Hauptspeise fand eine kleine Präsentation unter dem Motto Mitglieder stellen ihre Sammlung vor statt. Solch ein Präsentationsforum mit Diskussionsmöglichkeit wird in Zukunft hoffentlich regelmäßigen Einzug in die kommenden Veranstaltungen finden – freiwillige vorhandene Teilnehmer vorausgesetzt. Den Anfang an diesem Abend machte Günther Bergmann. Unter dem schönen Titel Abgekupfert aus Holz im 16. Jahrhundert – Der Druckerstreit Johann Schott gegen Christian Egenolff gab er einen Einblick in seine Kräuterbuchsammlung. Dabei verknüpfte er in einer gelungenen PowerPoint-Präsentation seine zusammengetragenen Titel mit der historischen Geschichte des Rechtsstreits der beiden Protagonisten. Egenolff machte sich des Plagiats schuldig, indem er Pflanzendarstellungen aus Schotts Publikationen «klaute» – ein Fall, der damals bis vor das Reichskammergericht ging. Den anschließend servierten Nachtisch könnte man fast als Einschub bezeichnen, denn es folgte eine weitere Überraschung durch unsere Erste Vorsitzende Annette Ludwig und Hansgeorg Schmidt-Bergmann: Zur Einstimmung auf den bevorstehenden Hebel-Tag in Basel erhielt jeder eine von Schmidt-Bergmann und Franz Littmann herausgegebene Ausgabe zu Hebels Leben und Werk: Johann Peter Hebel: Glück und Verstand. Minutenlektüren (Hamburg: Hoffmann und Campe 2009). – Ein gelungener Festabend also, der es geschafft hat, Körper und Geist gleichermaßen zu sättigen, und das auf angenehmste Weise.
Gryphius – Rekonstruktion seiner Bibliothek Den Festvortrag am späten Sonntagvormittag (3. Juni) im Humboldtsaal des Freiburger Hofs hielt der auf vielen Gebieten aktive Prof. Dr. Achim Aurnhammer (u.a. Mitherausgeber des Killy Literaturlexikons) von der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Sein Thema: Die Bibliothek des Andreas Gryphius. Bei dem Vortrag handelte es sich um eine Art Werkstattbericht, denn Prof. Aurnhammer ließ die Mitglieder an seiner mittlerweile drei Jahre andauernden (und schätzungsweise noch zwei weitere Jahre benötigenden) Arbeit seines kleinen Forscherteams teilhaben. Worum geht es hierbei? Für die Erforschung der Barockliteratur ist Andreas Gryphius (1616–1664) eine zentrale Säule. Die Frage stellt sich also, ob es nicht von großem Nutzen für die Wissenschaft wäre, seine Bibliothek zu rekonstruieren? Denn anhand dieser Bibliothek ließen sich nicht nur die Arbeiten von Gryphius selbst besser erklären, sondern es bestünde auch die Möglichkeit, Querverweise zu Zeitgenossen herzustellen, mit denen Gryphius verkehrte (z.B. mit Hilfe von Widmungsexemplaren), sowie generell einen Einblick in die literarische Mode der Zeit zu gewinnen – ein weitläufiger Nutzen also, den nicht nur speziell Gryphiusforscher als Gewinn ansehen könnten. Es sei noch erwähnt, dass der Zeitaufwand und die Kompliziertheit dieser Erschließung vorrangig darin begründet liegt, dass die Bibliothek durch Gryphius’ Sohn Christian im Jahre 1706 verkauft und in alle Welt zerstreut wurde. Dem Team steht daher als Orientierung lediglich der Auktionskatalog Catalogus Bibliothecae Gryphianae (Breslau: Baumann und Janck 1907) mit 3544 Nummern zur Verfügung. Ein Tagebuch Gryphius’, welches noch bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts nachweisbar ist, gilt als verschollen. Gryphius soll hier vor allem seine Reisen (Italien) festgehalten haben; im Auktionskatalog finden sich nicht weniger als acht italienische Libretti wieder. Sein Tagebuch wäre somit ein bedeutender missing-link. Externe Hilfen, speziell auch von Privatsammlern, sind daher bei diesem Projekt jederzeit willkommen.
Auf Johann Peter Hebels Spuren
Rechtzeitig, bevor der Regen am Nachmittag in Freiburg einsetzen sollte, verließ die Gesellschaft die Stadt in Richtung Basel, wo neben dem nun fast schon obligatorisch begleitenden Sonnenschein vor allem die Anfangsgeschichte Johann Peter Hebels mit zwei wirklich exklusiven Höhepunkten wartete. Da war zum einen die sehr kenntnis- und anekdotenreiche Führung durch das Wohnviertel rund um Hebels Geburtshaus, einen Steinwurf vom Rheinufer entfernt, durch die Schweizer Autorin und Stadtführerin Helen Liebendörfer. Zum anderen die Begehung des Hauses am Totentanz selbst, herzlich empfangen durch die quirlige Hausherrin Cornelia Schefold, die als Privatperson mit viel Hingabe und Leidenschaft diesen kleinen Anfangsteil des Erbes bewahrt. Denn: Wer serviert schon in den eigenen vier Wänden einer fremden Besucherschar selbst gemachten Tee mit Basler Leckerli, rezitiert dabei aus Hebels Werken in originaler Mundart und geniert sich nicht, eine Träne zu verdrücken; zeigt anschließend die frühere Wohnstube der kleinen Familie Hebel im unteren Teil des Hauses, lässt danach die fremden Gäste auf eigene Faust das Haus und die anderen vier Stockwerke samt Dachterrasse erkunden und ermöglicht jedem ebenso schöne Einblicke in die eigene Privatbibliothek wie – in jedem Stockwerk – eine außergewöhnliche Aussicht auf den Rhein? Zu Recht wurde die anschließende Einladung durch Dr. Annette Ludwig an ihre Freundin Frau Schefold, bei der nächsten Tagung als Gast dabei zu sein, von den Mitgliedern mit begeisterndem und zustimmendem Applaus goutiert. Und was wurde bei der kleinen Stadtführung gezeigt? In der Tat einiges, was auch der kleine Hebel zu seiner Zeit sehen konnte. Denn neben einer Teilzerstörung Basels durch ein Erdbeben Mitte des 14. Jahrhunderts blieb die Stadt weitestgehend von zusätzlichen Katastrophen verschont (den normalen baupolitischen, mit der jede Stadt ihre Erfahrung hat, sowie den allgemeinen gesellschaftlichen architektonischen Wandel ausgenommen). So steht zum Beispiel noch der originale Brunnen, an dem Mutter Hebel einst Wasser holte. Oder die «Sonntags- und Wochentagstüre» im benachbarten Seidenhof (nein, worum es sich dabei handelt, wird hier nicht verraten …), Gassen mit mittelalterlichen Häusern und ehemaligen Druckereien, und, neben Hebels einstiger Schule, die Taufkirche mit dem originalen Taufstein. All diese Spuren sind insofern von Interesse, weil sich in der Tat vereinzelt Bezüge und Inspirationen in den Werken von Hebel wiederfinden lassen. Der Tagungsbericht kann verständlicherweise nicht alle Stationen detailliert beschreiben, daher sei hier gerne auf die Publikation unserer Stadtführerin Helen Liebendörfer verwiesen: Spaziergang mit Johann Peter Hebel (Basel: Reinhardt Friedrich 2010). Fazit: Wenn man der Anekdote um C. J. Burckhardt glauben darf, dass er jedes Mal beim Vorbeigehen am 1899 gestifteten Hebel-Denkmal vor der Peterskirche seinen Hut gezogen hat, so mag man diese Geste nur zu gerne auf diesen schönen Nachmittag in Basel übertragen.
Herder Verlag und Museum Unterlinden
Der letzte Veranstaltungstag (Montag, 4. Juni) war mit dem Besuch des Herder Verlages am Vormittag und der Fahrt nach Colmar ins Museum Unterlinden zum Isenheimer Altar am Nachmittag inhaltlich-thematisch durchaus elegant abgestimmt. Im fast schon herrschaftlichen Verlagsgebäude (Neo-Barock und Reformklassizismus) des 1801 durch Bartholomä Herder gegründeten Verlags empfingen die Gesellschaft die beiden Mitarbeiter Gabriela Riegel und Matthias Bergediek. Die Teilnehmer wurden von Bergediek nicht nur mit einem Überblick zur umfangreichen Geschichte dieses auf Religion, Pädagogik und Politik/Geschichte spezialisierten Verlags und von Gabriela Riegel über die vereinzelten aktuellen bzw. hinzugekommenen Ressorts informiert, einige nutzten auch gleich die Gelegenheit, bibliographische Unklarheiten über frühe Auflagen von Werken und Reihen aus dem Verlag für sich aufzuklären. Auch weitere speziellere Fragen zu Autoren bzw. auch theologische Verknüpfungen zum Vatikan konnten befriedigend beantwortet werden. Und so teilte sich nach dieser Einführung die Gruppe in zwei Hälften, um das Gebäude zu erkunden und sich später im Archiv wieder zu treffen. Beendet wurde der Besuch mit einem Gruppenphi auf den Treppen des prachtvollen Eingangsportals. Diese Zahlen mögen noch eingefroren werden: Zur Zeit beschäftigt der Herder Verlag im Haus circa 170 Mitarbeiter, dazu gibt es Zweigstellen in München und Berlin mit insgesamt etwa weiteren 30 Mitarbeitern. Veröffentlicht werden etwa 500 bis 700 Titel im Jahr oder anders ausgedrückt: zwei Bücher pro Tag (inkl. Zeitschriften). Ergänzend dazu, aber nicht ketzerisch gemeint: Bis zum Jahr 1990 arbeiteten noch etwa 1000 Mitarbeiter im Haus. Das Gebäude wurde jedoch in den 1990ern strukturell verändert bzw. ressourcebedingt verkleinert, wobei die Druckerei und die Auslieferung ausgelagert und ab 1999 vor allem die Digitalisierung vorangetrieben wurde.
Zur Interpretation dieser Zahlen mag daher noch ein Kommentar erlaubt sein: Der modisch beklagte apokalyptische Niedergang der Buch-/Druck-/Verlagssache entpuppt sich auch hier bei genauerem Hinsehen lediglich als eine zeitgemäße und absolut gewöhnliche, arbeitsprozessbedingte Neuausrichtung und würde als Argument über eine mögliche Auflösungserscheinung dieser traditionsreichen Branche nicht dienen. Vielmehr, so fiel es beim Durchstreifen der Gänge mit den modern ausgestatteten Büros auf, wäre es wünschenswert und hilfreicher, wenn in Diskussionen über die Zukunft öfter der Wille der Modernisierung nicht als Widerspruch zu den eigentlichen Aufgaben (hierbei vereinfacht gesprochen: Bücher zu veröffentlichen) ausgespielt würde. In der bildenden Kunst gelten diese Sorgen ohnehin nicht, denn schöne Kunstwerke vergehen ja bekanntlich nicht, egal welche äußeren Einflüsse auf die Gesellschaft einprasseln. Der Isenheimer Altar von Matthias Grünewald (um 1475–1532), mit seinen leuchtenden Farben, ist daher auch für den erfahrenen Kunstkenner jedesmal ein Erlebnis. Unsere Führerin im Museum Unterlinden in Colmar, die sich der Gruppe mit Nathalie vorstellte, und die auch den Rest der Zeit, ganz französisch unkonventionell, der Gruppe gegenüber gerne beim «Du» blieb, führte uns vom Eingang des ehemaligen Dominikanerinnenklosters durch den schönen Kreuzgang zum Ausstellungsraum der Altarbilder. Rezeptionsästhetisch und ikonographisch von Nathalie äußerst spannend aufgelöst, doch insgesamt leider knapp bemessen, durchschritt die Gruppe danach noch einmal zügig das Museum (vorbei an römischen Mosaiken, merowingischen Skulpturen und Gemälden von Lucas Cranach d.Ä., Renoir, Brunet u.v.m.) in ein angeschlossenes Gebäude, welches bis 2002 noch die Funktion eines Schwimmbades hatte.
Heute dient die Schwimmhalle als Ausstellungsraum und – eine Etage höher, mit Blick auf das ehemalige Schwimmbecken – als Büro und Handbibliothek. Das besondere, auch als Entschädigung für den schnellen Durchmarsch durch die Sammlung dienende Erlebnis hierbei: die beibehaltene elegante Architektur des Gebäudes im Jugendstil. Das offizielle Programm der 119. Jahresversammlung endete pünktlich um 16 Uhr, mit dem Einstieg in den Bus am Parkplatz in Colmar. Zehn Teilnehmer ließen abends das Treffen noch in Oberkirchs Weinstuben am Münsterplatz in Freiburg ausklingen, während es draußen wie aus Eimern zu regnen begann …