Bei Josef Hegenbarth unterm Kirschbaum

Ein Bericht von Silvia Werfel

«Wenn es zutreffen sollte, daß ich nicht nur weiß, was schlimm und häßlich, sondern auch, was schön ist, so verdanke ich diese Gabe dem Glück, in Dresden aufgewachsen zu sein.» So kann man es in Erich Kästners Buch Als ich ein kleiner Junge war lesen. Vor genau sechzig Jahren sind Kästners immer noch lesenswerte Erinnerungen erschienen. Was hätte er wohl zum heutigen Dresden gesagt? «Seine» Stadt gab es ja seit dem 13. Februar 1945 nicht mehr. Die Gesellschaft der Bibliophilen hat hier erst- und letztmalig 1940 getagt. Nun reisten rund sechzig Bibliophile zum 118. Jahrestreffen nach Elbflorenz, so viele wie schon lange nicht mehr. Die Erste Vorsitzende Dr. Annette Ludwig hatte ein äußerst reichhaltiges, vielseitiges viertägiges Programm zusammengestellt.

Der Freitag (16. Juni) begann mit einem Besuch der Offizin Haag-Drugulin, einer der ältesten noch arbeitenden Buchdruckereien Europas. Ihre Wurzeln reichen bis ins 18. Jahrhundert zurück. Weltgeltung erlangte sie durch ihren großen Bestand an nichtlateinischen, vornehmlich orientalischen Schriften. 1946 enteignet, wurde sie seit 1954 unter dem Namen Offizin Martin Andersen Nexö in Leipzig weitergeführt; nach der Wende rettete Eckehart SchumacherGebler die Hochdrucksparte vor der Verschrottung, baute zunächst das Leipziger Museum für Druckkunst auf und hat die arbeitende Offizin inzwischen nach Dresden überführt. Hier begrüßte er gut gelaunt die Bibliophilen.

Eckehart SchumacherGebler, kurz ESG, kennt die Geschichte der Satzschriften und der druckgrafischen Techniken wie kein anderer und hält die handwerkliche wie ästhetische Qualität des Bleisatzes lebendig. So initiierte der unermüdliche Sammler den Verein für die Schwarze Kunst, mit dem Ziel, Fachwissen und Fertigkeiten an die junge Generation weiterzugeben.

Zunächst gab ESG ein paar Einblicke in seine Berufsbiografie: 1934 in eine Druckerfamilie hineingeboren, hat er das Drucker- und Setzerhandwerk von der Pike auf gelernt, studierte an der Hochschule für Grafisches Gewerbe und übernahm nach dem Tod des Vaters dessen Druckerei in München. 1961 erweiterte er sie durch die Layoutsetzerei SG und machte den Betrieb zu einem der führenden Unternehmen in Deutschland. Dabei bewies er nicht nur einen ausgeprägten Sinn für Qualität, sondern auch Gespür und Ideenreichtum in Marketingfragen. Seine schrifthistorischen Forschungen machten ihn zum international gefragten Experten; sie fanden Eingang auch in seine bibliophile Buchreihe, die Bibliothek SG. Jedes dieser literarischen Kabinettstückchen ist aus einer anderen Monotype-Schrift gesetzt, die im Anhang ausführlich porträtiert wird.

In zwei Gruppen aufgeteilt, konnten die Besucher beim Werkstattrundgang die historischen Maschinen in Aktion erleben und natürlich auch Bücher anschauen. Den Monotype-Taster führte Ria Mücke vor, die Gießmaschine Max Lotze. Beide kommen aus der digitalen Welt, widmen sich nun aber mit viel Herzblut auch der analogen Technik. Eckehart SchumacherGebler hatte einige Buchschätze aus seiner Sammlung bereit gelegt, darunter neben den ab 1910 erscheinenden Drugulin-Drucken für Ernst Rowohlt auch zeitgenössische Pressendrucke (z.B. der Bear Press, Dronte-Presse, Sisyphos-Presse) sowie – einzigartig – Thomas Manns Der Tod in Venedig (1993) der Antinous Presse: mit zweifarbigem (!) Monotype-Maschinensatz und acht Radierungen von Kurt Steinel. Eine besondere Rarität ist auch der Prachtband Marksteine aus der Weltliteratur in Originalschriften, erschienen 1902 «zur Erinnerung an das 500jährige Geburtsfest des Altmeisters Gutenberg» und mit Buchschmuck von Ludwig Sütterlin ausgestattet.

Auch fürs leibliche Wohl war gesorgt. Die Eltern von Max Lotze, Heike und Gunther, bekochten und umsorgten die Gäste aufs Beste – so war der Besuch bei Eckehart SchumacherGebler ein rundum gelungener Start in das Dresdner Treffen.

Gesundheit und Medizin

Im Deutschen Hygiene-Museum begrüßten drei Damen die Bibliophilen: Sammlungsleiterin Susanne Roeßiger, Bibliothekschefin Michaela Jacob und Sylke Schäfer, Kuratorin des Buchbestandes. Die Gäste durften nicht nur in historischen Buchzimelien rund um das Thema Gesundheit blättern, sondern mit Sylke Schäfer ausnahmsweise auch einen Blick ins eigentlich nicht öffentlich zugängliche Depot werfen, wo unter anderem die Sammlung von Moulagen (Wachsmodelle erkrankter Körperteile) faszinierte. Die Kuratorin präsentierte sodann einige Drucke der rund 1500 Titel umfassenden Sammlung. Knapp die Hälfte des Gesamtbestandes stammt aus der Fachbibliothek des Zwickauer Augenarztes Dr. Wolfgang Münchow (1923–1986). Zu den besonderen Schätzen zählen die Opera Observationum et Curationum Medico-Chirurgicarum von Wilhelm Fabricius Hildanus (1646) und als das wohl kostbarste Buch Ophtalmoduleia – Augendienst des Dresdner Okulisten Georg Bartisch. 1583 als erstes Lehrbuch zur Augenheilkunde in deutscher Sprache erschienen, verbrannte die eigens für Kurfürst August von Sachsen (1526–1586) kolorierte Ausgabe im Zweiten Weltkrieg; das Museum besitzt einen Nachdruck von 1686. Neben weiteren Meilensteinen der Augenheilkunde gab es auch Skurriles zu sehen, etwa ein Flugblatt des 18. Jahrhunderts, als fahrende Okulisten noch von Ort zu Ort reisten, unter denen ein gewisser John Taylor geradezu spektakuläre Misserfolge, aber auch manchen Erfolg, feierte. Digitalisate sind auf der Museumswebsite unter Sammlung online zu finden.

Michaela Jacob, die erst seit Herbst 2016 im Amt ist, hatte ebenfalls einige Kostbarkeiten zusammengestellt. Sie wies zunächst auf die seit 1952 unveränderte Bibliotheksaufstellung hin; das Mobiliar wurde damals von den hauseigenen Handwerkern maßgeschneidert. Einige Rara lagen bereit, manches durchaus mit «Schauerfaktor». Das älteste Exponat stammt von Aetius ‹Amidenus› und Janus Cornarius und wurde um 1507 in Paris bei Henricus Stephanus gedruckt. Zu sehen waren auch Abhandlungen von Dioscurides (1565) und Paracelcus (1590), ebenfalls ein Lehrbuch für Wehe-Mütter, sprich Hebammen, (1690) sowie der 1875 von Wilhelm Braune herausgegebene Topographisch-anatomische Atlas nach Durchschnitten an gefrorenen Cadavern, aufwendig gestaltet, mit Ausklapptafeln.

Stadtgeschichte und Einbandkunst

Nächster Programmpunkt war die Stadtrundfahrt. Michael Brey begleitete kundig die Zeitreise mit dem Bus, die am Deutschen Hygiene-Museum begann, unter anderem an der Güntz-Wiese und dem Großen Garten des Kurfürsts Johann Georg III. vorbeiführte, dann durch die Johannstadt, durch Blasewitz, Loschwitz und die Äußere Neustadt, hier durch die Königsbrücker Straße, wo Erich Kästner aufwuchs und bis 1914 lebte, vorbei auch an der Villa seines Onkels Franz Augustin in der Antonstraße 1, wo er als Kind oft auf der Gartenmauer saß – heute sitzt er immer noch da, als Bronzeplastik.

Neben viel historisch Wissenswertem streute Michael Brey auch ein paar Anekdoten ein, verriet etwa, dass das Viertel links der Elbe besonders «hellhörig» sei (weil die Stasi Tausende von Mikrophonen mit verbauen ließ). Wahr ist jedenfalls, dass Wladimir Putin zwischen 1985 und 1990 hier «im Bereich politische Aufklärung» arbeitete und mit seiner Familie in der Klarastraße lebte; wegen des allzu guten Radeberger Bieres soll er damals zwölf Kilo zugenommen haben …

Nach der Busstadtrundfahrt klang der Abend mit fünf Meistern, vielmehr: Meisterinnen der Einbandkunst (MDE) im Tagungshotel aus. Kurzvorträge gab es von Ireen Kranz, Esther Everding und Claudia Richter. Letztgenannte stellte das Buchprojekt von Anna Helm und Annett Großmann über die Steinmetzzeichen der Frauenkirche vor. Das federleicht handschmeichlerische Büchlein enthält einen Text des Architekten und Denkmalpflegers Dr. Torsten Remus und elf signierte Künstlerblätter, die um das Thema Steinmetzzeichen kreisen, darunter auch ein handgeschöpftes Papier von John Gerard. Das in 100 Exemplaren im Buchdruck gedruckte Buch ist fein gebunden und mit spürbar viel Herzblut gemacht; umso mehr bedauert die Berichterstatterin die mangelhafte Mikrotypografie samt einiger unglücklicher Setzfehler bei insgesamt schön luftigem Satzspiegel – wie schade, dass dieses Buch nicht in der Offizin Haag-Drugulin gesetzt, sondern von Textklischees gedruckt wurde. Letterpress für Bücher scheint «in» zu sein; dies wird in der nächsten Ausgabe der Wandelhalle eingehender thematisiert.

Viel haptischen Genuss und handwerklich-künstlerische Raffinesse boten die Buchobjekte der anwesenden Meisterinnen. Ireen Kranz, Melbeck, zeigte ihre aktuelle Kreation für die Bismarckbriefe 1844–1870 aus der Sammlung von Onno Feenders (Velhagen und Klasing, Bielefeld und Leipzig, 1876); sie nutzte sehr feinsinnig das Eiserne Kreuz als Ornament für den Ganzpergamentband; auf den ersten Blick erkennt man die Reihen der silberfarbenen Ornamentstempel, aber erst bei genauerer Betrachtung das durchscheinende Muster der Ordensform. Esther Everding, Berlin, hat Benvenuto Cellinis Text Über die Grundsätze nach welchen man das Zeichnen erlernen soll neu gebunden (übrigens ein Druck für die Maximilian Gesellschaft Berlin und Bibliophilen-Gesellschaft Köln des Jahres 1940). Ins Auge fallen hier die Lederauflagen aus Ziegenleder und die Intarsien aus verschiedenen Rochenledern, Muschelteilen und Seeigelplättchen. Für Spiegel und Vorsatz ist schwarzes Büttenpaper von Gangolf Ulbricht verwendet.

Claudia Dettlaff, Leipzig, hatte drei Bücher dabei, darunter die von J. J. Holtzmann herausgegebene 24stündige Handthierung und Gewebe in Hamburg der Edition Scholen 53 (2003, Faksimile der Originalausgabe von 1824) als Papierband klebstofffrei mit sichtbarer Heftung auf Kordel und Lederriemchen gebunden und den Deckel mit Intarsien aus handgefärbtem blau-grünem Knitterpapier und handgefärbten Vorsätzen in Orange versehen. Rita Lass, Halle an der Saale, verführte mit ihrem bis auf die Titelzeile textlosen Künstlerbuch Nur einen Moment innehalten zum Wegschweben ins endlose Blau.

Untergrundliteratur und Buchkunst

Am Samstag (17. Juni) ging es zunächst in die Sächsische Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek, kurz SLUB. Sie entstand 1996 aus dem Zusammenschluss der Bibliothek der Technischen Universität und der Sächsischen Landesbibliothek (SLB). Die Geschichte der Landesbibliothek beginnt im Jahr 1556 als Hofbibliothek von Kurfürst August I., öffentlich zugänglich ist sie seit 1788. Die Wurzeln der Universitätsbibliothek reichen bis ins Jahr 1828 zurück. Als Bibliothek der Königlich-Sächsischen Bildungsanstalt gegründet, wurde sie 1890 zur Bibliothek der Technischen Hochschule, die hundert Jahre später zur Volluniversität ausgebaut wurde mit entsprechender Erweiterung des Buchbestandes.

Die Zusammenlegung hatte einen Neubau zur Folge. Er entstand nach Plänen des Architekturbüros Ortner&Ortner zwischen 1999 bis 2002 auf dem Sportplatz der Universität. Die beiden eher streng wirkenden Gebäude, verkleidet mit Thüringer Travertin, sind als «Huldigung an die Rationalität» gedacht. Das Meiste aber sieht man gar nicht, denn die Architekten bauten unterm Sportplatz drei Stockwerke in die Tiefe.

Am Samstagvormittag empfing zunächst Dr. Thomas Haffner die Besucher. Unter den von ihm herausgesuchten Preziosen der Sondersammlungen waren Bücher aus der Arbeitsbibliothek des 2015 verstorbenen GdB-Mitglieds Annemarie Verweyen. Vermittelt von Horst Kunze, hatte sie 1998 ihre rund 10 000 Bände der Bibliothek übereignet. Teils wunderschön signierte Bilderbücher von Eva Rubin und Gerhard Oberländer lagen zum (vorsichtigen) Blättern aus. Auch Pressendrucke und Künstlerbücher gab es zu sehen, etwa Tobias E. Ellmanns Totenwache (Leipzig 1987) mit 24 farbig expressiv serigraphierten Bild-Text-Seiten und eine Ausgabe Entwerter/Oder von Uwe Warnke (Berlin 1988), der 1991 für seine Zeitschrift den V. O. Stomps-Preis erhielt. 2016 publizierte er mit Entwerter/Oder 100 eine fünfteilige Jubiläumsausgabe. Bis 1989 erschienen das collagierte, zusammenkopierte Periodikum illegal; die SLUB hat alle Nummern, denn sie galt zu DDR-Zeiten als «Schlupfloch» für nicht angepasste Bibliothekare, Verleger und Gestalter … Neben Untergrundliteratur in Schwarz/Weiß gab es nicht weniger faszinierende, zudem farbige Buchkunst zu sehen wie Frank Eißners Der Traum des Nebukadnezar (1997) – ein Traum von einem Buch …

Im Zimelienzimmer

Im Buchmuseum der SLUB nahm Joachim Linek die Bibliophilen in Empfang. Nach vielen Dienstjahren im Wissenschaftsministerium unterstützt er die Bibliothek nun als ehrenamtlicher Ausstellungsbegleiter. Das Buchmuseum wurzelt in den Sammlungen des bereits genannten Kurfürsten August I., der schon früh die Bücher in einer Liberey separierte; 1835 richtete der Oberbibliothekar Constantin Carl von Falkenstein ein Zimelienzimmer ein. Mit der Einweihung des neuen Universitätsgebäudes 2003 wurde auch das kleine Buchmuseum wiedereröffnet. Schon die schwere Eingangstür zum Ausstellungsraum beeindruckt: sie zeigt Phantasiezeichen über dem lateinischen Alphabet, ein Entwurf des Grafikers und TU-Professors Wolff-Ulrich Weder. Innen – im Halbdunkel – Kostbarkeiten unter Glas: Handschriften, Bücher, Globen, Karten, Musikdrucke. Zum Beispiel: Das Vorlesungsskript Commentarius in psalmos Davidis (1513–1515) von Martin Luther, das als Geschenk Johann Ernst Luthers, dem Enkel des Reformators und kurfürstlichen Leibarzt, in die Kurfürstliche Bibliothek gelangte. Ein mit vier Schriften Albrecht Dürers bestückter Band zur Proportionslehre, der aus dem Besitz Lucas Cranachs des Älteren 1591 in die Kunstkammer der sächsischen Kurfürsten kam. Zwei Prachteinbände von Jakob Krause, dem bedeutendsten deutschen Buchbinder der Renaissance, der 1566 in den Dienst des Sächsischen Kurfürsten trat; von seinen rund 1000 Einbänden sind noch etwa 250 in der SLUB erhalten.

Im Zentrum des Raumes aber befindet sich das berühmte Handschriftenleporello der Mayas. 1739 für die Dresdner Bibliothek erworben, wurde es erst 1853 als Maya-Handschrift identifiziert. Der mit Hieroglyphen, Zahlenzeichen und Bildern beschriebene Codex enthält Ritual- und Weissagungskalender, Berechnungen über Sternkonstellationen, Mond- und Sonnenfinsternisse, Wetter- und Erntevoraussagen. Weltweit gibt es nur drei weitere Exemplare.

Lichtscheue Grafik und gewichtige Fachliteratur

Nachmittags führte die Besichtigungstour in die Kunstbibliothek und das Kupferstichkabinett der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden im Residenzschloss. Auch hier lag für die Bibliophilen Handverlesenes bereit. Im Studiensaal des Kupferstichkabinetts zeigte die Konservatorin Dr. Gudula Metze Beispiele frühe Druckgrafik. Mit einem Fundus von über einer halben Million Werken (Zeichnungen, Druckgrafik, Fotografie) ist die Dresdner Sammlung nicht nur eine der weltweit ältesten (wieder standen die Wettiner Pate), sondern auch eine der geschichtsträchtigsten und bedeutendsten. Die ‹lichtscheuen› Blätter lagern naturgemäß in Mappen und Schubladen und werden nur selten zur Schau gestellt. Die Konservatorin zeigte einige. So die beiden Clairobscur-Holzschnitte von Ugo da Carpi (oder Niccolò Vicentino, um 1527) nach Raffaels Bild Der wunderbare Fischzug – bemerkenswerte Experimente des Holzschneiders und Druckers mit unterschiedlichen Farbflächen, einmal dunkler mit Braun und Orange arbeitend, dann heller mit Beige-Tönen. Neben Holzschnitten waren Kupferstiche zu sehen, auch kleine Formate, etwa des Meisters der Spielkarten und des Meisters E.S. Woraus die Diskussion entstand, wo denn überhaupt der Kupferstich erfunden worden ist. In Florenz um 1460? Oder doch im deutschsprachigen Raum um 1430?

Dr. Elisabeth Häger-Weigel, die Leiterin der Kunstbibliothek, empfing die Besucher mit Buchbeispielen des 16. bis 20. Jahrhunderts, von Albrecht Dürer über Sascha Schneider, den Karl-May-Illustrator und Kallisthenie-Anhänger (Körperkulturbilder), bis Pablo Picasso (Linogravures 1962) und Hermann Glöckner, den 1987 in Berlin verstorbenen Dresdner Konstruktivisten. Besonders hervorzuheben: Johann Heinrich Zedlers Grosses vollständiges Universal-Lexicon Aller Wissenschafften und Künste. Zwischen 1731 und 1754 erschienen insgesamt 64 Bände und vier Supplementbände. Die ursprünglich 27 Bände der Kunstbibliothek stammen aus dem Familienbesitz von Heinrich Graf von Lehndorff-Steinort, dessen Besitztümer nach 1945 enteignet wurden. Nach 1990 stellten die vier Töchter des Grafen, darunter Vera von Lehndorff (bekannt als Fotomodell und Schauspielerin namens Veruschka) den Antrag auf Rückübertragung. 2010 einigten sich die Erben mit dem Freistaat Sachsen und erhielten einiges an Kunstgegenständen zurück. Die Zedler-Bände jedoch verblieben in der Bibliothek; diese bekam von den Erben sogar sieben weitere Bände geschenkt; sie waren einst auf Burg Kriebstein eingemauert gewesen und erst bei Bauarbeiten 1986 wiederentdeckt worden.

Der Festabend im Tagungshotel wurde mit dem Grußwort der Beigeordneten für Kultur und Tourismus der Landeshauptstadt Dresden, Frau Annekatrin Klepsch, eröffnet. Höhepunkt war die fulminante Tischrede von Prof. Dr. h. c. mult. Klaus G. Saur mit dem Titel Es war um die Jahrhundertwende. Die Gründung der deutschen literarischen Verlage. Samuel Fischer, Albert Langen, die Familie Cassirer, Anton Kippenberg, Axel Juncker, Ernst Rowohlt, Kurt Wolff – sie und etliche weitere Verlegerpersönlichkeiten porträtierte Klaus G. Saur mit viel Charme und Witz und einem nahezu unerschöpflichen Wissensfundus. Auch diese wichtige Frage wurde beantwortet: Wie wird man als Verleger zum Millionär? Indem man mehrere Millionen investiert – oder reich heiratet …

Bibliotheken als Orte der Konzentration

Der Sonntag (18. Juni) wurde mit der Festrede von Prof. Dr. Thomas Bürger, dem Generaldirektor der SLUB, eingeleitet. Es war sein erster offizieller Arbeitstag nach langer Erkrankung und Rekonvaleszenz. Er freute sich besonders, Prof. Dr. Klaus G. Saur wiederzusehen, in dessen Verlag 2002 seine Festschrift für Jürgen Hering zum 65. Geburtstag erschienen ist, unter dem eingängigen Haupttitel Bibliotheken führen und entwickeln. Der sei von ihm, merkte Klaus G. Saur verschmitzt lächelnd an.

Prof. Dr. Thomas Bürger sprach über Bibliotheken in Zeiten des Wandels und der Ungewissheit. Bibliotheken haben sich im Laufe der Jahrhunderte von Orten des Herrschaftswissens und der Repräsentation mit «angekettetem» Wissen zu Orten des Wandels entwickelt, wobei die digitale Transformation gegenwärtig die größte Herausforderung sei. Gewandelt hat sich ja auch die SLUB – Thomas Bürger gab einen kleinen Einblick in den aus dem Beschluss zur Zusammenlegung der TU- und der Sächsischen Landesbibliothek 1996 folgenden «Kulturkampf», den es durchzustehen galt. Die neue Architektur sei eine «Einladung zur Konzentration»; sie zeige weniger einen bestimmten Stil als eine Haltung. In Dresden grabe man sich gleichsam in das Wissen ein. Auch Ästhetik sei wichtig! Nun steht die erste Renovierung an: die Räume sollen noch schöner und eleganter werden mit dem «Lesesaal als Signatur» der Bibliothek, mit Ruhe- und Sportraum und einem Eltern-Kinder-Zimmer. Als Ort experimenteller Kreation und des Fächer übergreifenden, vernetzten Lernens nannte er den auf der anderen Straßenseite gelegenen Makerspace.

Thomas Bürger blickt «hoffnungslos optimistisch» in die Zukunft und empfahl zum Schluss, sich in schlaflosen Nächten unbedingt einmal in den digitalen Beständen der SLUB umzuschauen. Eine Fundgrube!

Geheimtipp mit Kirschbaum

Anschließend ging es mit dem Bus ans andere Elbeufer nach Loschwitz. Dort erwartete das Josef-Hegenbarth-Archiv die Bibliophilen, einschließlich Pause im Garten unterm Kirschbaum – idyllisch. Der Maler, Zeichner und Illustrator Josef Hegenbarth (1884–1962) wohnte und arbeitete hier von 1921 bis zu seinem Tod. Seine Frau Johanna (1897–1988) pflegte klug und mit immensem Einsatz sein Erbe, erstellte Werkverzeichnisse und organisierte noch als 87-Jährige die Ausstellung zum 100. Geburtstag ihres Mannes im Dresdner Albertinum. Sie bestimmte schließlich auch für den Großteil des künstlerischen und finanziellen Nachlasses einschließlich des gemeinsamen Wohn- und Atelierhauses das Kupferstichkabinett der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden als alleinigen Erben.

Malutensilien, Bücher, Skizzen und am großen Fenster der Arbeitstisch – der Künstler Thomas Baumhekel führte die Gruppen durchs Atelier im obersten Stockwerk, zeigte unter anderem auch Bücher, die der Künstler auftragsbedingt las und gleich an bestimmten Stellen mit kleinen Skizzen versah. Durch die aktuelle Ausstellung ein Stockwerk tiefer führte Daniela Koch. Alles dreht sich hier um den kleinen Muck und Kalif Storch. Für Wilhelm Hauffs Märchensammlung Die Karawane schuf Hegenbarth zwei Versionen von Illustrationen. Zu sehen sind sowohl Feder- und Pinsel-, als auch Tuschezeichnungen. Diese kehrten nach siebzig Jahren von Berlin nun an ihren Entstehungsort zurück. Ergänzt wird die Schau durch Marionetten und die filigranen Schattenspielfiguren von Lotte Reiniger aus den 1950er und 1960er Jahren (weitere Details bei den Ausstellungshinweisen).

Nach Kaffee und Gebäck und ein paar stibitzten Kirschen eilten die ganz Unermüdlichen noch zum Schillerhäuschen, bevor Albrecht Hoch die Gruppe am Buchhaus Loschwitz übernahm. Mit der Standseilbahn ging es auf den Spuren der Protagonisten in Uwe Tellkamps Roman Der Turm hinauf ins Villenviertel Weißer Hirsch. Auch diejenigen, die das Buch noch nicht gelesen haben, hatten bei dieser wunderbar geführten Turm-Tour ihren Spaß und reichlich Anregungen, die Lektüre nachzuholen. Der Dresdner Historiker rezitierte bühnenreif aus dem Roman; vor allem die Ode an die Semmel, deklamiert vor der Bäckerei Walther, mit anschließendem gemeinsamen Semmelverzehr, wird in Erinnerung bleiben …

Bananenkisten und Lebensreformerisches

Der Exkursionstag am Montag (19. Juni) führte in die Peter-Sodann-Bibliothek nach Staucha, wo der Schauspieler und Bücheraktivist die Teilnehmer gut aufgelegt durch seine Sammlung der zwischen 1945 und 1990 in der DDR erschienenen Bücher geleitete. Er deklamierte auf der Bühne in der großen Scheune, förderte beim Rezitieren der Klassiker, zum Beispiel aus Goethes Egmont, auch verborgenen Hintersinn zutage, führte treppauf treppab vorbei an schier endlosen, prall gefüllten Regalreihen und gab Einblicke in seine Biografie wie in seine politischen Ansichten. Er sammle gegen das Vergessen an, sagte er und fügte hinzu: «Das Vergessen ist die Mutter der Verwahrlosung.» Er lädt dazu ein, anhand der Bücher zu studieren, was in der DDR geschehen ist, das Gute wie das Schlechte.

Peter Sodanns KulturGutStaucha beherbergt in den sanierten Gebäuden, also im einstigen Kuhstall und in der Scheune, in der auch Lesungen, Theater und Kino stattfinden, insgesamt rund vier Millionen Bücher. Offizielle Geldspritzen bekommt er nicht, aber Bücherspenden von Privatleuten. Seine Staatsbibliothek ist eine teure Leidenschaft. Teile davon sind mit Hilfe von Menschen, die sich im Bundesfreiwilligendienst engagieren, erfasst, katalogisiert und eingeräumt, aber längst nicht alles. So besteht die Wand hinter der Bühne in der Scheune aus Bananenkisten, darüber ein Spruchband: In den Bananenkisten des Westens schlummert das Wissen des Ostens. Im Kuhstall wiederum befindet sich das Antiquariat, das ein bisschen wirtschaften hilft – man sah tatsächlich einige Bibliophile mit Ostrowskis Wie der Stahl gehärtet wurde unterm Arm das Anwesen verlassen … Eigentlich müsste man länger hierbleiben zum Stöbern und Entdecken. Im Gästehaus Gegen das Vergessen gibt es vier Zimmer zum Übernachten – und Lesen. Essen kann man in der dazugehörigen Gaststätte. Das taten die Bibliophilen, bevor der Bus zur nächsten Station aufbrach.

In der Gartenstadt Hellerau ging es, geführt von dem Architekten Clemens Galonska, der mit seiner Familie Am Grünen Zipfel wohnt, durch das Kleinhaus- und Landhausviertel bis zum berühmten Festspielhaus. Der Unternehmer Karl Camillo Schmidt gründete 1909 diese Siedlung, in der «die Einheit von Wohnen und Arbeit, Kultur und Bildung in einem von der Lebensreform geprägten Organismus» gebaute und gelebte Wirklichkeit werden sollte. Richard Riemerschmid plante die Werkstätten für Handwerkskunst, die schon Serienfertigung betrieben, sowie die Wohn- und Gemeinschaftshäuser; Heinrich Tessenow, Hermann Muthesius und Curt Frick waren für die nie ganz gerade verlaufenden Straßenzüge zuständig. Die Siedlung zog Reformbegeisterte aus ganz Europa an, und im Festspielhaus (ursprünglich das Schulgebäude für die Bildungsanstalt für Rhythmische Gymnastik) versammelte sich zu den Aufführungen die gesamte europäische Kulturelite, jedoch nur bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges.

Seit den 1930er Jahren militärisch genutzt, erst von den Nationalsozialisten, dann von der Sowjetarmee, wurde die Bildungsanstalt für Rhythmische Gymnastik 1992 an das Bundesvermögensamt zurückgegeben, wechselte dann in den Besitz des Freistaates Sachsen. Die Sanierung des gesamten Areals mit allen Gebäuden war erst vergangenen Sommer abgeschlossen. Längst schon ist das Festspielhaus wieder ein kreativer Ort der Kultur, an dem auch Flüchtlinge willkommen sind. Viele junge Familien bevölkern die Gartenstadtsiedlung und die Deutschen Werkstätten Hellerau sind inzwischen auf den Innenausbau luxuriösester Yachten und Gebäude spezialisiert; grundlegend dafür: höchste Handwerkskunst, ausgetüftelte Technik und feinste Materialien.

Bei großer Hitze geriet der Rundgang durch Teile der Gartenstadt für manchen zur körperlichen Herausforderung, aber so vieles war zu entdecken, auch das von Hermann Muthesius geplante Haus Auf dem Sand 11 – hier lebte von 1914 bis 1930 Jakob Hegner, der Übersetzer, Verleger und wegweisende Drucker-Typograf.

Das Dresdner Treffen war abwechslungsreich und gespickt mit Glanzlichtern – wunderbar!