Ein Bericht von Silvia Werfel

Ein Mal schon tagte die Gesellschaft der Bibliophilen in Karlsruhe, und zwar 1970. 45 Jahre später präsentierte sich die Stadt Anfang Juni bei heißestem Sommerwetter lebendig-mediterran und – als Baustelle; seit 2010 prägen nämlich im wahrsten Wortsinn tiefgreifende städtebauliche Maßnahmen das Zentrum (Stichwort Stadtbahntunnel). Die Teilnehmer der 116. Jahresversammlung nahmen’s gelassen.

Die Stadt ist eine der letzten großen Gründungen, die am Reißbrett entstanden, und feierte dieses Jahr mit einem Festivalsommer ihren dreihundertsten Geburtstag. Karl Wilhelm, Markgraf von Baden-Durlach, wollte einst nicht länger im mittelalterlich geprägten Durlach, sondern lieber in einer modernen Stadt residieren, mit Schloss und Park als Ausgangspunkt, von dem aus die Straßen strahlenförmig verlaufen, daher der Beiname «Fächerstadt». Die architektonische Prägung gab dieser Stadt zu Beginn des 19.Jahrhunderts vor allem Friedrich Weinbrenner, unter anderem mit Kirchenbauten und Europas schönstem klassizistischen Marktplatz-Ensemble – und mit der zur Zeit vielleicht schönsten Baustelle Europas, wie Gabriele Tomaschewski anmerkte.

Sie leitete einen der beiden Stadtrundgänge am Freitagvormittag (5.6.), der im Stadtgarten begann, unter anderem vorbeiführte an der Schwarzwaldhalle (mit frei tragendem Hängedach in Nierentischform von 1953) und nach einem Zwischenstopp im angenehm kühlen Kuppelbau der Pfarrkirche St.Stephan schließlich zum Schlosspark und zurück zum Marktplatz mit der Pyramide, dem Grabmal des Stadtgründers. Unterwegs gab es einiges über die klassizistische Prägung der Stadt zu erfahren, aber auch übers Karlsruher Modell (mit Zweisystem-Stadtbahnen), das Stadtbahntunnel-Projekt und über Karlsruhe als Stadt der Wissenschaft und Technik.

Für den Empfang beim Kulturbürgermeister Wolfram Jäger im Rathaus waren die Teilnehmer somit gut gerüstet. Es gab gut gelaunte Willkommens- und Dankesreden sowie einen Imagefilm zu sehen, der Karlsruhe als «Denkfabrik» mit der höchsten Forschungsdichte in Deutschland (KIT, ZKM etc.) bei gleichwohl hoher Lebensqualität vorstellte und auch daran erinnerte, dass am 3.August 1984 hier in Karlsruhe die erste eMail aus den USA ankam. Im Anschluss wurde ein Sekt vom Turmberg kredenzt und der Bürgermeister outete sich als waschechter Durlacher …

Markgräfin Karoline Luise, die «Meister-Sammlerin»

Ziel der Tagungsteilnehmer am Freitagnachmittag war die zwischen 1836 und 1846 errichtete Staatliche Kunsthalle Karlsruhe (einst Großherzogliche Gemäldegalerie). Der Museumsbau, einer der ältesten in Deutschland, beherbergt Gemälde aus acht Jahrhunderten. Den Grundstock der Sammlung bilden französische und niederländische Gemälde des 17. und 18. Jahrhunderts, die Markgräfin Karoline Luise zwischen 1759 und 1776 erwarb. Das integrierte Kupferstichkabinett, basierend auf der Sammlung des Markgrafen Friedrich V. von Baden Durlach (1594–1659), ist eine der ältesten Grafiksammlungen weltweit und eine stetig wachsende dazu, die aktuell annähernd 100.000 Blätter umfasst, wie Dr. Nina Trauth erläuterte.

Sie präsentierte in den 1985 neu eröffneten klimatisierten Räumlichkeiten einige besondere Stücke, darunter: Martin Schongauers virtuoses Weihrauchfass (Kupferstich, 2.Hälfte 15.Jahrhundert), eine durchaus kontrovers interpretierbare Handzeichnung von Hans Baldung Grien mit Hexe und Drachen (1515) und Albrecht Dürers Melancholia (1514) – von Dürer befindet sich fast das gesamte druckgrafische Werk im Kupferstichkabinett, was der Sammeltätigkeit Friedrichs V. zu verdanken ist. Für die Barockzeit war eine Radierung von Stefano della Bella zu sehen, welche die Schweizer Künstlerin Pia Fries (Jahrgang 1955) in einer ebenfalls bereit liegenden Collage, mit Schichtungen und verschiedenen Druck- und Maltechniken zitierte. Die frühe Moderne war repräsentiert etwa durch eine Monotypie von Edgar Degas (Cap Ferrat, um 1890), entstanden in der Druckwerkstatt aus der Erinnerung, durch eine raffiniert reduzierte Lithografie von Gustav Kampmann (um 1900) und durch Friedrich Haeckels Holzschnitt Fränzi liegend (1910). Der Rundgang veranschaulichte den Weg der Künstler in die Abstraktion; immer gehe es um das Ausreizen der Mittel, ja um Grenzüberschreitungen, so Dr. Nina Trauth. Im Online-Archiv des Kupferstichkabinetts kann man viele weitere Entdeckungen machen.

Handverlesene Tafelwerke in Buchform stellte im Vorlegeraum zudem die langjährige Bibliotheksleiterin Sabine Müller-Wirth vor. Unter anderem Lehrbücher über künstlerische Techniken und Prototypen des modernen Kunstbuchs, wie sie die Markgräfin für die eigene Aus- und Weiterbildung schätzte, etwa Vom Liecht der Reiss- und Mahlkunst von Crispin de Passe (viersprachig, Amsterdam 1654) oder Pierre Louis La Guépières Recueil de differents projets d’architecture (Stuttgart 1752). Durch die besonders klare Strichführung bestach Jan Punts Lyk-Staetsie: van zyne doorluchtigste Hoogheid Wilhelm Carel Hendrik Friso, Prince van Orange en Nassau (s-Gravenhage 1755); die aufgeschlagene Doppelseite zeigte im Gefolge des Trauerzuges auch den Prinzen von Baden-Durlach.

Aus der Menge herausragender Druckwerke sei eines noch hervorgehoben: Reise in das Innere Nord-America in den Jahren 1832 bis 1834 von Maximilian Prinz zu Wied, mit 48 großformatigen Kupferstichen in Aquatintamanier von Karl Bodmer, der den Prinzen auf dieser Forschungsreise begleitete. Mehr als zwanzig Stecher waren – unter Bodmers Aufsicht – mit der Fertigung der Druckformen nach seinen Skizzen und Aquarellen beschäftigt. Ergebnis waren zwei fundierte Text- und zwei Tafelbände, die zwischen 1839 und 1841 erschienen. In der Sammlung der Kunsthalle befindet sich allein der Tafelband im Quer-Großfolioformat, mit bemerkenswerten Landschaftsansichten und Darstellungen von Indianerhäuptlingen, Jagdszenen und zeremoniellen Tänzen. Intensive Forschungen brachten Ende der 1990er Jahre ans Licht, dass sich die drei fehlenden Bände gleichsam nebenan  in der Badischen Landesbibliothek befinden. So verfügt Karlsruhe über die wissenschaftlich so bedeutsame Gesamtausgabe, nur dass diese auf zwei Institutionen verteilt ist.

Zu besichtigen war in der Kunsthalle auch die in einem ausgezeichneten Katalog umfassend dokumentierte Ausstellung Die Meister-Sammlerin. Karoline Luise von Baden. Die vielseitig interessierte Markgräfin entwickelte sich von der selbst praktizierenden Kunstliebhaberin zur Kunstmarktkennerin mit europaweit agierenden Agenten und entsprechenden Korrespondenzen. Diese wiederum lagern, inklusive Ankaufslisten, Rechnungen, Reisenotizen, als Eigentum des Hauses Baden im Generallandesarchiv Karlsruhe (GLAK). Dorthin führte der Weg die Bibliophilen dann am Sonntagnachmittag.

Nicht nur Juristisches und Almanache

Vorher fanden am Freitagabend im Restaurant Wacht am Rhein die bibliophilen Gespräche statt. Humorvoll und pointiert schilderte Dr. Christof Müller-Wirth, bis 1994 Drucker-Verleger des C. F. Müller Verlags, Details zur Karlsruher Druckgeschichte und manches Kuriose aus seinem eigenen Arbeitsalltag mit Autoren und Künstlern. Christian Friedrich Müller (1776–1821) hatte im September 1797 gegen den Widerstand der ortsansässigen Konkurrenten Macklot und Schmieder, aber mit offizieller Genehmigung des Hofes in Karlsruhe eine Buchhandlung gegründet, zwei Monate später folgte das Privileg zur Errichtung einer Druckerei. 1809 gab er den Code Napoléon heraus, worauf letztlich die Spezialisierung auf juristische Publikationen fußt. Im Verlauf des 19. Jahrhunderts wurde das Unternehmen zum Verlag für die Werke Johann Peter Hebels. Erwähnt sei auch Wilhelmine Augusta, die erste Frau des Firmengründers, geborene Maisch, die als Dichterin und Förderin der Almanachliteratur um 1800 in die Annalen einging.

Die Tradition des Verlagsalmanachs griff Dr. Christof Müller-Wirth Ende der 1980er Jahren wieder auf. Amüsant erzählte er auch Anekdotisches von besonderen Druckaufträgen, etwa für Lothar-Günther Buchheim, den streitbaren Kreativen, Sammler und Museumsgründer, der dem Setzer noch letzte Korrekturen «direkt in den Winkelhaken diktierte», oder mit HAP Grieshabers teils sehr speziellen Druckstöcken, die auch mal aus einer Schranktür bestehen konnten, inklusive Schlüsselloch versteht sich. Mit vorbildlicher Druckqualität hat sich das Unternehmen Meriten erworben.

Oswald Mathias Ungers’ Kuppelbau

Der Besuch der Badischen Landesbibliothek (BLB) am Samstagvormittag (6.6.) war ein weiterer Höhepunkt der Bibliophilentage. Ihre Wurzeln reichen bis ins 15.Jahrhundert zurück; Bestandserweiterung in größerem Rahmen bescherte 1803 der Reichsdeputationshauptschluss, in dessen Folge Bücher aus 27 Klöstern in die damalige Hofbibliothek gelangten. Heute fungiert die BLB als wissenschaftliche Universalbibliothek mit Pflichtexemplarrecht für Baden-Württemberg. Das spektakulärste Stück im Bestand ist die Handschrift C des Nibelungenliedes. Es handelt sich dabei um das älteste, etwa 1200 entstandene Textzeugnis, erworben 1815 am Rande des Wiener Kongresses von Joseph von Laßberg, finanziert durch seine (heimliche) Gefährtin Fürstin Elisabeth zu Fürstenberg. Seit Juni 2001 befindet sich die gestalterisch unspektakuläre, inhaltlich umso bedeutendere Handschrift als Dauerleihgabe in der BLB, neben weiteren Exemplaren aus Laßbergs seit 1855 in der Fürstlich Fürstenbergischen Hofbibliothek in Donaueschingen beheimateten Büchersammlung. 1993 kaufte das Land Baden-Württemberg die Donaueschinger Handschriften; die deutschsprachigen Exemplare aus dem Mittelalter, darunter der Kernbestand der Laßberg-Sammlung, gelangten in die BLB, die lateinischen und neuzeitlichen kamen nach Stuttgart (WLB).

In dem nach dem Entwurf des Kölner Architekten Oswald Mathias Ungers 1991 fertiggestellten neuen Gebäude in der Erbprinzenstraße stehen über 2,5 Millionen Medieneinheiten zur Verfügung, darunter sind 4253 Handschriften, 1365 Inkunabeln, 5480 Musikhandschriften und 63.408 Noten, 74.174 Autografen sowie 51.706 Karten und Pläne (Stand 2014). Die Bibliothekschefin Dr. Julia Hiller Freifrau von Gaertringen und ihre Mitarbeiterinnen Dr. Annika Stello, Gabriele Philipp und Brigitte Knödler-Kagoshima zeigten eine Auswahl von Handschriften, frühen Drucken und Musikalien. Herausgehoben seien die älteste Buchhandschrift der BLB, Commentarius Matthaeum des Hieronymus aus dem letzten Drittel des siebten Jahrhunderts mit Palimpsesten in merowingischer Schrift, der Rappoltsteiner Parzival (Straßburg 1331–36), das kostbar illuminierte Gebetbuch Christoph I. (Durlach, um 1500) sowie Johann Peter Hebels Stammbuch.

Bei den Drucken war die Gegenüberstellung dreier Theuerdank-Ausgaben besonders interessant. Dieser höfische Prachtband, der als neue Schrifttype eine dekorative Vorstufe der Fraktur zeigt, erschien 1517, gedruckt in Nürnberg bei Johann Schönsperger d.Ä. In diesem allegorischen Versepos schildert Kaiser Maximilian I. seine Werbung um Maria von Burgund und die Abenteuer der Brautfahrt, jedem Abenteuer ist ein Holzschnitt vorangestellt. Interessant war der Vergleich der kolorierten mit einer unkolorierten Ausgabe von 1517. Nach heutigem Empfinden haben die fein ziselierten einfarbigen Holzschnitte eine stärkere Ausstrahlung als die farbigen.

150 Jahre später gelangte der Augsburger Drucker-Verleger Matthäus Schultes durch einen glücklichen Zufall an die als verschollen geltenden 118 Holzdruckstöcke aus dem Theuerdank. 1679 brachte er eine Neuausgabe heraus, sprachlich behutsam modernisiert, in einer zeitgenössischen Fraktur gesetzt und in etwas abgewandeltem Layout. Beigefügt ist hier zusätzlich eine Biografie des «Letzten Ritters».

Unter den acht gezeigten Musikalien waren ein zwischen 1745 und 1765 entstandenes Autograph des Hofkapellmeisters Johann Melchior Molter, auch eine Abschrift von Mozarts Entführung aus dem Serail von 1785, des weiteren einige nahezu unberührte Widmungsexemplare für den beliebten Großherzog Friedrich von Baden.

Hingewiesen sei darauf, dass ein Großteil der Bestände digitalisiert und allgemein zugänglich vorliegt. Einige nutzten die Gelegenheit, noch eine Stippvisite in den Lesesaal mit der spektakulären Kuppel zu machen und am Ende im Bibliotheksshop einzukaufen, Gedrucktes natürlich.

Literarische und buchhistorische Kulturgüter

Am Samstagnachmittag war das PrinzMaxPalais das Ziel. 1881 bis 1884 erbaut, beherbergt es seit 1998 unter anderem die Literarische Gesellschaft Karlsruhe, die, gegründet 1924, mit knapp 7000 Mitgliedern der größte literarische Verein Mitteleuropas ist. Sie unterhält hier das Museum für Literatur am Oberrhein, die Oberrheinische Bibliothek und ein Archiv, das auf den Nachlass Joseph Victor von Scheffels zurückgeht. Prof. Dr. Hansgeorg Schmidt-Bergmann, Geschäftsführender Vorstandsvorsitzender der Literarischen Gesellschaft und Museumsleiter in Personalunion, empfing die Bibliophilen und führte durch die pfiffig konzipierte Ausstellung.

Anschließend bot Dr. Hans-Jürgen Vogt im dortigen Vortragssaal einen Einblick in seine private Sammlung Orient-Archiv und Jerusalem-Bibliothek. Der promovierte Chemiker und ehemalige Karlsruher Kommunalpolitiker war von Kindesbeinen an vom Orient fasziniert und faszinierte nun die Bibliophilen mit Geschichten aus seinem Sammlerleben und einigen mitgebrachten Fundstücken.

Am selben Ort hielt tags darauf, am Sonntag (7.6.), Prof. Dr. Volker Rödel, Leitender Archivdirektor i.R., den Festvortrag über Das Schicksal der südwestdeutschen Klosterbibliotheken. Zur gesellschaftlichen Bedeutung und Rechtsstellung säkularisierter Bücherschätze. Grundlegend: Die nach 1803 durch die Säkularisation in die Karlsruher Hofbibliothek gelangten Handschriften- und Büchersammlungen stellten «den größten Wertsteigerungsschub ihrer Geschichte dar». Bedeutsam ist dies auch, weil seit 1771 die öffentliche Benutzbarkeit für die wissenschaftliche Forschung festgeschrieben und diese Zweckbestimmung durch den 1872 vollzogenen Übergang von der Hof- in die staatliche Verwaltung sowie die Umbenennung in Großherzogliche Hof- und Landesbibliothek endgültig manifestiert war.

Nach dem Ende der Monarchie wurden jedoch die Eigentumsverhältnisse nicht neu definiert – Grundlage für den sogenannten Handschriftenstreit. Die Familie von Baden erhob hier gegenüber dem Land Baden-Württemberg Eigentumsansprüche auf die Handschriften der einstigen Hofbibliothek, mit dem Ziel diese zu veräußern. Der durch einen FAZ-Artikel entfachte Proteststurm und die Arbeit des daraufhin neu mit dem Fall betrauten Wissenschaftsministeriums sorgten am Ende für den Erhalt des Bestandes in der BLB, vor allem aber für eine längst überfällige Klärung: Die Handschriften aus Säkularisationsgewinn als Teil der ehemaligen Hofbibliothek sind 1919 «in das Eigentum der Republik Baden übergegangen und nun Eigentum des Landes Baden-Württemberg». Die «Relevanz von säkularisierten Bücherschätzen» für das Gemeinwesen innerhalb einer Kulturnation sei seitdem im Bewusstsein der Öffentlichkeit stärker verankert, so das Fazit aus Volker Rödels Vortrag, der in der nächsten Imprimatur-Ausgabe (2017) publiziert wird.

Am Sonntagnachmittag gab es nicht, wie ursprünglich geplant, historische Kräuter- und Arzneibücher zu sehen, sondern Archivalien. Volker Rödel, der bis 2010 Leiter des Generallandesarchivs Karlsruhe war, führte durchs GLAK und stellte hier nicht nur den 2012 eröffneten, an das alte Gebäude von 1905 angrenzenden Erweiterungsbau vor; er zeigte auch Buch-Preziosen, die man hier gar nicht vermutet hätte. Auf einer Regallänge von insgesamt 14 Kilometern lagern hier nämlich nicht nur Protokoll- und Rechnungsbände, sondern auch 65 Handschriften bzw. «archivische Bände» (z. B. Chroniken), 66 Urbare bzw. Lagerbücher (z. B. das Lagerbuch des Zisterzienserklosters Tennenbach, mit schöner Eingangsminiatur) sowie 67 zu Repräsentationszwecken teils aufwendig illustrierte Kopialbücher (Abschriften von Urkunden).

«Dingsdahausen»

Die sehr erkenntnisreiche Montagsexkursion (8.6.) führte ins Papierzentrum Gernsbach und nach Bretten ins Melanchthon-Haus. Auf dem Weg dorthin agierte Dr. Annette Ludwig, die Direktorin des Gutenberg-Museums, als Vorleserin und gab im Reisebus Textproben aus Albert Geigers 1924 posthum erschienenen (und 2006 in der Kleinen Karlsruher Bibliothek der Literarischen Gesellschaft neu aufgelegten) Roman Die versunkene Stadt zum Besten. Geigers sarkastisch-süffisant formuliertes Psychogramm wurzelt in Enttäuschung, denn der ambitionierte Schriftsteller wollte Karlsruhe in einer Zeit der gesellschaftlichen und künstlerischen Umbrüche zum südwestdeutschen Kunstzentrum entwickeln, was ihm nicht gelang. So heißt es bei Geiger: «Dingsdahausen nennen wir eine mittlere Residenzstadt im südwestlichen Deutschland, welche noch jüngeren Datums ist, aber doch schon anspruchsvollen Schrittes neben älteren und gewichtigeren Schwesterstädten einherzutreten bemüht ist.» Jedoch bezeigten Fremde wenig Lust, an diesem Ort «der lauen Mittelmäßigkeit» Halt zu machen und zu verweilen …

Die Teilnehmer der 116. Jahresversammlung der Bibliophilen verweilten gleich mehrere Tage und erlebten eine kunstsinnige, moderne Stadt. Bleibt nachzutragen, was die Neuwahl des Vorstandes in der Mitgliederversammlung brachte. Prof. Dr. Reinhard Wittmann hat das Amt des Vorstandsvorsitzenden nach dreizehn Jahren abgegeben. Auf ihn folgt als Vorsitzende Dr. Annette Ludwig, die Direktorin des Gutenberg-Museums Mainz, die als gebürtige Karlsruherin das Jahrestreffen federführend organisiert hat. Zudem löst die Fachjournalistin Silvia Werfel M.A. nun als Schriftführerin Prof. Dr. Ute Schneider ab, die aber auch künftig das Jahrbuch Imprimatur herausgibt. Dr. Onno Feenders bleibt Zweiter Vorsitzender, RA Michael Then Schatzmeister, als Beisitzer fungieren weiterhin Bernd Oetter, Eberhard Köstler und Michael Ujhelyi.

Prof. Dr. Reinhard Wittmanns Einsatz für die Bibliophilen würdigte Schatzmeister RA Michael Then am Festabend im Tagungshotel mit einer freundschaftlichen Dankesrede und einem Buchgeschenk. Er überreichte ihm ein Exemplar von Johann Christian Müldeners 1697 erschienener Capitulatio Harmonica, versehen mit dem Exlibris von Johann Josephus Pockh als besonderem Schmankerl. Der scheidende Vorstandsvorsitzende wiederum überreichte allen Teilnehmern den Band Deutsche Buchdrucker des fünfzehnten Jahrhunderts und äußerte zum Abschied ein paar Gedanken zur Zukunft der Bibliophilie; er neigt da «nach wie vor zu vorsichtigem, aber stabilem Optimismus».