Bibliophilen-Tage 2014 in Augsburg

Ein Bericht von Ulrike Erber-Bader

Zum dritten Mal in ihrer Geschichte fand die Jahresversammlung der Gesellschaft heuer – nach 1973 und 1983 – im über 2000-jährigen Augsburg statt, wo sich dreiundvierzig erwartungsvolle Mitglieder und Gäste einfanden und im Gegensatz zum Vorjahr von freundlichem Wetter verwöhnt wurden. Die rund 30 Teilnehmer des von vielen Gesprächen und Verteilung der Tagungsunterlagen begleiteten Begrüßungsabends (19. 6.) in der Maximiliansklause wurden vom Vorsitzenden, Herrn Prof. Wittmann, begrüßt und auf die kommenden Tage eingestimmt. Er betonte, dass nach der überaus reichhaltigen letztjährigen Tagung in Konstanz und Umgebung diesmal ein etwas ruhigeres Programm stattfinden würde.

Dieses startete am Freitag Vormittag (20.6.) mit einem Stadtrundgang unter dem Motto «Augsburg – 2000 Jahre Geschichte in zwei Stunden», beginnend beim Tagungshotel, dem traditionsreichen Drei Mohren. Die beiden kompetenten Führerinnen, Frau Rohmeder und Frau Dom, geleiteten uns über die ehemalige römische Villa Claudia (heute: Maximilianstraße) zu den benachbarten Fuggerhäusern. Diese entstanden zwischen 1512 und 1515 für Jakob Fugger, den Reichen, und repräsentierten die große Bedeutung der Fugger als einflussreiche Kaufmanns- und Bankiersfamilie. Nach ausführlichen Details über die Fuggerfamilie und Besichtigung der Innenhöfe ging es weiter zur Moritzkirche, die, gegründet im 11. Jahrhundert und im Inneren im Zweiten Weltkrieg zerstört, erst vor kurzem von dem Architekten John Pawson neu gestaltet wurde und in ihrer minimalistischen Ausstattung überrascht und beeindruckt. Im nahegelegenen Renaissance-Palais der Welser findet sich heute das Maximilian-Museum, das einen Überblick über die einst bedeutende Rolle von Augsburgs Kunst und Kunsthandwerk gibt.

Anziehungspunkt für Besuche zu anderer Zeit war die Sonderausstellung Der Pommersche Kunstschrank, die von vielen Bibliophilen wahrgenommen wurde. Nach Besichtigung des Innenhofs mit den originalen Skulpturen von Augustus-, Herkules- und Merkurbrunnen führte der Weg am Johann-Fugger-Denkmal und dem Perlachturm vorbei direkt zum dominierenden Rathaus. Dieses von Stadtbaumeister Elias Holl zwischen 1615 und 1620 errichtete Gebäude gilt als bedeutendster Profanbau der Renaissance nördlich der Alpen. Auch er wurde im Februar 1944 größtenteils zerstört. Hauptaugenmerk im von regem ‹Hochzeitsverkehr› frequentierten Haus galt dem Goldenen Saal, beeindruckend in Größe und Ausstattung. Die im Anschluss besuchte Fuggerei in der Unterstadt bedeutete einen Kontrast. Im frühen 16. Jahrhundert von Jakob Fugger gegründet und als «älteste Sozialsiedlung der Welt» apostrophiert, erfüllt sie noch heute ihren Zweck. Ein kurzer Rundgang mit Besichtigung einer Musterwohnung und angeschlossenem kleinen Museum machte mit den Lebensbedingungen früherer und jetziger Bewohner bekannt. Das ebenfalls in der Unterstadt befindliche Brechthaus war Endpunkt des Stadtrundgangs. Hier konnte man sich ausführlich über Leben und Werk des dort 1898 geborenen Schriftstellers informieren, wozu zahlreiche Schautafeln sowie Vitrinen mit Erstausgaben und zeitkritischer Literatur einluden.

Staats- und Stadtbibliothek und abendliche Bibliophilen-Gespräche

Der Nachmittag war dem Besuch der Staats- und Stadtbibliothek gewidmet, einem neobarocken Bau aus den Jahren 1892/93. Direktor Dr. Laube umriss nach der Begrüßung kurz die Geschichte der Bibliothek, die 1537 als reichsstädtische Einrichtung gegründet wurde und ab 1562 in einem eigenen Gebäude untergebracht war, dem ersten selbständigen Bibliotheksbau der Neuzeit in Deutschland. Die frühesten Bestände stammten aus den aufgehobenen Bettelordensklöstern, später, zu Beginn des 19. Jahrhunderts, folgten Teile von säkularisierten Klosterbibliotheken. Rund 3600 Handschriften, 2800 Inkunabeln beherbergt das Haus, daneben bedeutende Bestände wie die Arbeitsbibliothek des Augsburger Humanisten Konrad Peutinger (1465–1548), der Nachlass des großen Bücherfreundes Marcus Welser (1558–1614), eine große Graphik- sowie eine bedeutende Musiksammlung. 1806 und später wurden wertvolle Bestände nach München ausgegliedert. Aktuelle Schwerpunkte bilden das Schrifttum zu Augsburg, Bayerisch-Schwaben, Bertolt Brecht. Seit 2012 ist der Freistaat Bayern Unterhaltsträger der Bibliothek.

Von Frau Seidl und den Herren Dr. Zäh und Mayer wurden wir durch das repräsentative Treppenhaus in die beiden historischen Zimelien-Säle geführt, wo ausgewählte Exponate auf uns warteten und zum Teil erläutert wurden. Der untere Zimelien-Saal mit seinen noch ursprünglichen Vitrinen beeindruckte durch Handschriften und Inkunabeln, von denen hier nur das berühmte Kaiserbuch (Augsburg um 1510) von Konrad Peutinger und das Missale speciale (Basel um 1473) genannt seien. Letztgenanntes gilt als das älteste gedruckte Messbuch. Der obere Zimelien-Saal widmete sich besonderen Einbänden des 15. bis 20. Jahrhunderts, z.B. von Jakob Krause, Petrus Betz oder Samuel Streler. Eine neunbändige für Hieronimus Fugger gebundene Cicero-Ausgabe in Taschenbuchformat, Augsburg um 1550) bestach durch ihre Eleganz. Zum Abschluss präsentierte Frau Seidl ein hochinteressantes Briefkonvolut des Privatgelehrten Georg Wilhelm Zapf (1747-1810), der als Wissenschaftler und im Inkunabel-Handel Tätiger mit zahlreichen bekannten Persönlichkeiten in Kontakt stand. Von schönen Eindrücken erfüllt verließen wir das geschichtsträchtige Haus; viele nutzten die nächsten freien Stunden zu Antiquariats- und Museumsbesuchen.

Die Bibliophilen Gespräche (akustisch wegen Fußball-WM leider etwas beeinträchtigt) fanden abends im zentral gelegenen Gasthof Zum Weißen Hasen statt. Nach kurzen Ausführungen von Hartmut Pätzke anlässlich des Exlibris-Kongresses 1984 in Weimar, in denen er auch auf die älteste deutsche Exlibris-Sammlung einging, forderte Prof. Wittmann zu Meinungen über eine delikate Frage auf: Was geschieht mit meiner Sammlung, wenn ich nicht mehr bin? Die Reaktionen waren wohl des Themas wegen eher zurückhaltend, doch gab es einige Wortmeldungen, die die Probleme und Möglichkeiten von Vor- und Nachlässen plausibel beleuchteten. Allgemeiner Tenor war, sich „beizeiten“ um das Schicksal seiner Sammlung zu kümmern, wobei sich die Diskussion ungewollt (?) mehr und mehr zu einer Aussprache über Gepflogenheiten im Auktionswesen entwickelte. Der Abend war für den ein oder anderen sicherlich Anlass, sich mit dem Thema näher auseinanderzusetzen.

Universitätsbibliothek und Festabend

Am Samstagvormittag (21.6.) fanden sich die Teilnehmer in der etwas außerhalb des Zentrums liegenden Universitäts-Bibliothek zur Mitgliederversammlung ein. Der Vorstand war mit Ausnahme der entschuldigten Schriftführerin Prof. Schneider vollständig vertreten. Zügig wurde die Tagungsordnung absolviert. Prof. Wittmann teilte den Versammelten seinen Entschluss mit, die Tätigkeit als Erster Vorsitzender nach über zwölf Jahren im nächsten Jahr zu beenden. Eine Nachfolgerin steht in Aussicht, die sich 2015 zur Wahl stellen wird. Karlsruhe als nächstem Tagungsort wurde zugestimmt.

Nach dem im Freien eingenommenen gemeinsamen Mittagessen auf dem Campus traf man sich erneut in der Universitätsbibliothek, wo uns der Leiter der Einrichtung, Herr Dr. Ulrich Hohoff, begrüßte und kurz in Geschichte und Struktur der erst 1970 gegründeten Bibliothek einführte. Doch welch bedeutende Altbestände! Neben den rund 80000 Bänden aus der ehemaligen Katholisch-Theologischen Hochschule Freising und, als Dauerleihgabe seit 1982, der Sammlung der Stiftung Cassianeum in Donauwörth kam 1981 eine der bedeutendsten deutschen Privatbibliotheken, jene de Fürsten Oettingen-Wallerstein, in den Besitz der UB. Eine Ausstellung mit vornehmlich illustrierten Werken zeigte die ganze Bandbreite dieser Sammlung, bevor uns Dr. Peter Stoll in das rund 120 000 Handschriften und Drucke umfassende Magazin der Oettingen-Wallersteinschen Bibliothek führte und ausführlich von ihrer Geschichte und ihrem Aufbau berichtete.

Andere Schwerpunkte der Bibliothek sind Geschichte der Musik und Deutsche Literatur der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Hierzu zählt die 2009 erworbene Sammlung von Georg P. Salzmann (1930–2013) als Bibliothek der verbrannten Bücher, die ca. 12 000 Bände zählt und von Dr. Gerhard Stumpf erläuternd gezeigt wurde. Begleitend konnten Vitrinen mit den beiden kleinen Sonderausstellungen Deutsche Exilliteratur aus den U.S.A . und Deutsche Literatur 1900-1950 betrachtet werden, z. B. eine Ausgabe der Buddenbrooks mit vierseitiger (!) Widmung von Thomas Mann an William Sawitzky aus dem Jahr 1905.

Der Festabend bei den Drei Mohren versammelte auch die erst heute angereisten Gäste und der Saal war von lebhaftem Austausch erfüllt. Prof. Wittmanns Tischrede berührte kurz die aktuelle Problematik bezüglich Amazons Kindle und ähnlicher Geräte; die Befürchtung, dass Bibliophile zu «Datensklaven» werden könnten, sei allerdings nicht angebracht; auch könnten die E-Books die «richtigen» Bücher sicher nicht so schnell verdrängen, wie von manchen vermutet. Es folgten – traditionsgemäß – etliche Kostproben reisender Spötter aus den Jahren 1783 und 1789 mit fast satirischen Äußerungen über Augsburg.

Festvortrag: Kataloge mit erfundenen Büchern

Der sonntägliche Festvortrag (22.6.) von Dr. Ulrich Hohoff im Schaezlerpalais widmete sich einem auch für Bibliophile nicht alltäglichen Thema: Kataloge mit erfundenen Büchern. Hauptantrieb zur Herausgabe derartiger Kataloge war und ist wohl der spielerische Umgang mit der Bücherwelt. Nicht zufällig waren zumeist Buchhändler, Schriftsteller, Sammler oder Antiquare die «Autoren». Bereits 1899 hat der bekannte Bibliograph Hugo Hayn eine Bibliographie der Bücher mit fingierten Titeln herausgegeben; aus jüngster Zeit gibt es einen Überblick unseres Mitglieds Dr. Roland Folter über seine Spezialsammlung, was für ernsthafte Interessenten des Themas erfreulich ist, da keine Bibliothek die Kataloge systematisch sammelt. Dr. Hohoff spannte einen weiten Bogen vom 16. Jahrhundert bis zur Gegenwart, beginnend mit dem Catalogus Catalogorum, den Johann Fischart 1590 unter Pseudonym veröffentlichte, darin fast alle damaligen Buchgattungen satirisch verspottete und mit Zeitkritik verband. Ähnliche Ziele verfolgten die lateinischen und deutschen Kataloge des 17. Jahrhunderts, während und nach dem 30-jährigen Krieg vornehmlich politisch geprägt. So ist es nicht verwunderlich, dass manche dieser Publikationen der Zensur zum Opfer fielen. Wurden einige Kataloge sogar für bare Münze genommen, vor allem wenn sie in Form von Mess-Katalogen erschienen, sind doch die meisten eindeutig fiktional wie z. B. der Katalog der Bibliothek Adams (!), der kurz nach 1700 publiziert wurde. Auktionskataloge waren auch im 18. Jahrhundert beliebt, gaben sie doch Gelegenheit, die oft exotischen Wünsche der Sammler mit dem Angebot entsprechender Titel zu karikieren. Während das 19. Jahrhundert rar an erfundenen Bücherkatalogen war, erlebte der Anfang des 20. Jahrhunderts einen neuen Aufschwung, aus dem das von Anton Kippenberg herausgegebene und Antiquariatskatalog betitelte Verzeichnis der Sammlung eines fiktiven Emil Meyer hervorsticht. Die Aufzählung setzt große bibliophile Kenntnisse voraus und beeindruckt durch phantasievolle Titelauswahl und parodistische Beschreibungen. Ein Sprung in unsere Zeit zeigt, dass der Reiz immer noch aktuell ist, was das Vorhandensein vieler Objekte im Internet beweist. Von dem amerikanischen Sammler John Webster Spargo werden Kataloge erfundener Bücher als «sicherlich die merkwürdigste Spielerei, die in der umfassenden Geschichte der Bibliographie jemals aufgetaucht ist» bezeichnet. Wer könnte dem widersprechen?

Auch am Nachmittag begrüßte uns das – in unmittelbarer Nachbarschaft zum Tagungshotel gelegene – Schaezlerpalais, wo uns die beiden Damen Gabriele Friedl und Nicole Hofmann erwarteten. Sie führten kundig durch Augsburgs bedeutendstes Stadtpalais, das ab 1765 anstelle eines älteren Patrizierhauses von Bankier Liebert von Liebenhofen erbaut und 1770 im Beisein der auf der Brautreise nach Frankreich sich befindlichen Marie-Antoinette feierlich eingeweiht wurde. Lieberts Schwiegersohn Johann Lorenz Schaezler erwarb das Palais 1821; bis 1958 in Familienbesitz ging es mit Auflage, das Haus nur für kulturelle Zwecke zu nutzen, als Geschenk an die Stadt Augsburg. Nach Restaurierung beherbergt es seitdem u.a. die Deutsche Barock-Galerie, Staatsgalerie Altdeutscher Meister und Graphische Sammlung. Besonders eindrucksvoll ist der zwei Stockwerke hohe Rokoko-Festsaal mit reicher Ausstattung, darunter Feichtmayr-Stuckaturen. Kleine Ausstellungen zur Sozialgeschichte des Zeitungslesens und zum Landkartenverlag Lotter sowie der reizvolle Garten luden vor und nach der Führung zur Besichtigung ein.

Exkursion nach Neuburg an der Donau und Dillingen

Der Ausflug am Montag (23.6.) galt zwei bedeutenden Regionalbibliotheken. Der Bus brachte uns zunächst durch das Donaumoos in nordöstlicher Richtung nach Neuburg an der Donau, die frühere Hauptstadt des Fürstentums Pfalz-Neuburg, geprägt durch dessen ersten Pfalzgrafen Ottheinrich (1502–1559; Mitbegründer der Bibliotheca Palatina). Ziel war die 1803 im Zuge der Säkularisation eingerichtete Provinzialbibliothek, seit 1960 Staatliche Bibliothek. Deren Leiter Gerhard Robold zeigte uns den historischen Saal, dessen barockes Bibliotheksgestühl von 1730 samt Inhalt 1804 aus dem ehemaligen Zisterzienserkloster Kaisheim bei Donauwörth nach Neuburg gebracht und im früheren Betsaal eingebaut wurde. Der Altbestand von circa 35 000 Bänden setzt sich u.a. aus der Sammlung Ottheinrichs, der Bibliothek der Jesuiten und an die 500 Inkunabeln zusammen. Er wurde erläutert und in einigen Beispielen gezeigt; darunter waren sogenannte Ottheinrich-Bände (der älteste von 1544) mit üppigen Supralibros, Ausgaben des Elsässer Jesuiten Jakob Balde (1604–1668) sowie Bücher des ersten Neuburger Druckers Hans Kilian, der ab 1544 in Ottheinrichs Diensten stand.

Der letzte Programmpunkt der Tagung brachte uns flussaufwärts nach Dillingen an der Donau zur Studienbibliothek, wo uns Herr Rüdiger May betreute. Die Wurzeln dieser heutigen staatlichen Regionalbibliothek gehen bis ins Jahr 1549 zurück, als Kardinal Otto Truchseß von Waldburg (1514–1573) in Dillingen eine Universität gründete und sie mit einer Bibliothek ausstattete. (Heute befindet sich in dem früheren Bibliothekskomplex und Jesuitenkolleg die Akademie für Lehrerfortbildung). 1563 bis zur Aufhebung des Ordens 1773 wurde die Universität von den Jesuiten geleitet; große Bücherzuwächse erfolgten aus den Beständen säkularisierter schwäbischer Klosterbibliotheken, woraus sich der enorme Anteil der vor 1800 gedruckten Werke des jetzigen Gesamtbestands von circa 200 000 Büchern, 500 Handschriften, 825 Inkunabeln erklärt. Eine Sonderausstellung zum 500. Geburtstag des oben genannten Kardinals zeigte in anschaulicher Weise die große Spannweite seiner Interessen und Sammeltätigkeit, darunter ein Missale Romanum in einem Einband des berühmten Jakob Krause (Venedig 1563). Quasi als Ersatz für den wegen Renovierungsarbeiten nicht zugänglichen historischen Bibliothekssaal präsentierte uns Herr May zum Abschluss einige exquisite Stücke aus dem Altbestand, bevor es am Spätnachmittag zurück nach Augsburg ging.

Ein Fähnlein von sieben Aufrechten ließ den Abend gemeinsam ausklingen und die schönen Tage Revue passieren. Auf Wiedersehen in Karlsruhe!